Sag Mami Good bye - Fielding, J: Sag Mami Good bye - Kiss Mommy Good Bye
mir dauernd nette Geschenke oder führt mich in irgendwelchen netten Lokalen zum Dinner aus. Niemals versucht er...« Sie blickte zu Mel, um zu sehen, ob er verstand, was sie meinte, ohne daß sie es wirklich aussprechen mußte. Er verstand, und sie fuhr fort: »Aber schon, wenn er mir nur die Hand reicht, um mir beim Aussteigen zu helfen, wird mir fast übel.«
»Vielleicht weil Sie beim Aussteigen aus dem Auto gar keine Hilfe brauchen.«
Überrascht hob sie den Kopf, blickte in Mels schokoladenbraune Augen. Er saß auf der Kante seines Schreibtischs – sie, kaum einen halben Meter von ihm entfernt, auf einem Stuhl. Unwillkürlich schluckte sie hart; schien buchstäblich verdauen zu müssen, was er da gesagt hatte. »Er flößt mir so ein Gefühl der Unzulänglichkeit ein«, sagte sie, während ihr Blick durch den Raum glitt. »War ja zuerst ganz nett, jemanden zu haben, der die Verantwortung übernahm, sämtliche Entscheidungen traf. Aber wissen Sie, was das bei einem bewirkt nach einer Weile?« fragte sie – und gab sich, zum erstenmal in präzise Worte gefaßt, selbst die Antwort: »Es macht einen wieder zum Kind. Es nimmt einem das Erwachsensein. Und nach einiger Zeit fängt man an, sich so zu verhalten, wie man behandelt wird – wie ein Kind! Man wird völlig unselbständig. Ich bin zweiunddreißig Jahre alt! Ich habe zwei Kinder. Ich sollte von niemandem abhängig sein als von mir selbst. Ich begreife überhaupt nicht, wie all dies mit mir
geschehen ist!« Sie suchte nach Worten, streckte beide Hände unwillkürlich zum Hals. »Ich kann nicht atmen! Er läßt mir keine Luft. Er entscheidet alles; er überwacht alles – die kleinsten, belanglosesten, albernsten Einzelheiten. Er muß alles unter Kontrolle haben.« Sie schleuderte ihre Hände geradezu in die Luft. »Und wissen Sie, was mich seit einiger Zeit beängstigt?«
Mel trat hinter seinen Schreibtisch, setzte sich auf seinen Stuhl. »Was?« fragte er.
»Er glaubt, daß es zwischen uns wieder besser wird. Er glaubt, daß es für uns Hoffnung gibt. Erst heute morgen hat er’s gesagt. >Wir streiten uns nicht mehr‹, hat er gesagt. >Du hast es gelernt, Kompromisse zu schließen. Scheint wirklich, daß du anfängst, erwachsen zu werden. Abgesehen von dem, was du mit deinem Haar angestellt hast, natürlich!‹« Sie schrie es geradezu heraus. Es war wie ein Kreischen. »Kompromiß! Ich hasse das Wort! Wissen Sie, was Kompromiß praktisch bedeutet, Dr. Segal!? Es bedeutet nachgeben, klein beigeben. Der Grund dafür, daß wir nicht mehr miteinander streiten, ist höchst einfach. Vor einem halben Jahr faßte ich den Entschluß, mich nicht mehr mit ihm zu zanken. Einfach tun, was er wollte. Mich seinen Entscheidungen fügen. Und genau das entspricht seiner Vorstellung von einem Kompromiß. Wenn ich blau sage, und er sagt grün, dann drehe ich mich zu ihm herum und sage grün, und schon haben wir einen ›Kompromiß‹ geschlossen.« Sie stand auf und begann, hin und her zu gehen. »Von Erwachsenwerden spricht er. Ich fange an, erwachsen zu werden! Ich fange an zu sterben! Ist das dasselbe? Was er mit Erwachsenwerden meint, ist – ein fügsames Kind werden. Und genau das ist aus mir geworden.
Nur – Kinder, die ihren Eltern gegenüber unentwegt brav und gehorsam sind, werden schließlich irgendwann widerborstig, aufsässig. Sogar böse. Wenn ich dem andern Schmerz zufügen kann, beweist mir sein Zucken, daß ich noch lebe. Scheint Ihnen all das irgendwie sinnvoll?« Unvermittelt blieb sie stehen.
»Ja. Und wahrscheinlich haben Sie seit sechs Jahren nicht mehr soviel von sich gegeben, was einen Sinn ergibt.« Er stand auf und bewegte sich auf sie zu.
»Ich empfinde nur, daß ich die Kontrolle über mein eigenes Leben verloren habe. Dauernd bin ich krank. Immer befürchte ich, etwas Falsches zu tun, einen Irrtum zu begehen. Ich trau mich kaum was zu sagen, wage einfach nicht, eine eigene Meinung zu haben, weil es ja die falsche Meinung sein könnte.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe Angst, ich selbst zu sein – weil ich im Grunde gar nicht weiß, was aus mir geworden ist.« Sie hielt inne, betrachtete Mels freundliches Gesicht. »Nur bei einer Gelegenheit habe ich das Gefühl, etwas Eigenständiges zu tun – mitten in der Nacht.« Mel sah sie fragend an. »Da setze ich mir mein Baumwollmützchen auf und hole Eimer und Mop und putze das beschissene kleine Haus, bis es nur so glänzt.«
Dr. Segal lachte laut auf.
»Hat Sie nicht
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