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Sag mir, wo die Mädchen sind

Sag mir, wo die Mädchen sind

Titel: Sag mir, wo die Mädchen sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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der Wohnung, die Sicherheitskette klirrte, und die Tür ging auf.
    «Guten Tag, Aisha.» Es fiel mir leichter, Ayans Mutter mit dem Vornamen anzusprechen, als sie Frau Ali zu nennen. Ich hoffte, dass sie das nicht als unhöflich empfand. «Kommissarin Maria Kallio von der Espooer Polizei. Ich war vor zwei Wochen schon einmal hier, erinnerst du dich?»
    In ihren Augen flackerte Hoffnung auf, die jedoch von Angst verdrängt wurde.
    «Sie finden Ayan, meine Ayan?»
    «Niemand hat sie gesehen. Aber du scheinst zu wissen, warum sie weggegangen ist. Wovor ist sie geflohen?» Ich ging an ihr vorbei in die Wohnung. Sie hielt ein weißes Herrenhemd und eine Nadel mit weißem Garn in der Hand, offenbar war sie gerade dabei gewesen, das Hemd zu flicken. Ich zog den Mantel und nach kurzem Überlegen auch die Schuhe aus. Obwohl Aisha mich nicht hereingebeten hatte, ging ich ins Wohnzimmer und setzte mich auf das Sofa. Daneben stand ein Nähkorb, in dem penibel geordnet bunte Garnrollen, Stoffstreifen und Wollreste lagen. Aisha zögerte, setzte sich dann in eine Ecke des Sofas, das näher zum Fenster stand. Sie legte das Hemd auf den Schoß und vernähte einen Riss unter der Achsel.
    «Ich habe gerade mit Miina Saraneva gesprochen. Du hast sie im Supermarkt beschimpft, weil du meinst, es ist ihre Schuld, dass Ayan verschwunden ist. Wohin ist Ayan gegangen?»
    Die Nadel bewegte sich fieberhaft, doch die Stiche waren so winzig, dass man sie kaum sah. Aisha sah mich nicht an, als sie sagte:
    «Ich weiß nicht.»
    «Warum hast du zu Miina Saraneva gesagt, Ayan sei wegen ihr weggegangen?»
    Die dunklen Augen sahen mich unsicher an, richteten sich dann wieder auf die Näharbeit.
    «Ayan spricht immer von Miina. Adey so schön, Haut hell wie Sahne. Ich nicht verstanden. Ist schlimme Verbrechen, so mit andere Frau sein. Lehren sie das in dem Club, ich frage. Sie behauptet, dass nicht versteht. Ich sage, dass Ali tötet, die Jungen Gutaale und Abdullah tötet, alle Bekannten tötet wenn hört von der Schande, die ganze Familie kommt in Schande und Hölle, ganze Familie schlechte Muslim.»
    Sie unterbrach ihre Tätigkeit und schaute hinaus. Die Sonne hatte sich zwischen die Hochhäuser verzogen und lange Schatten hinterlassen, von denen einer Aishas Gesicht verdeckte. Sie änderte die Haltung, sodass wieder Licht auf die Flickarbeit fiel. Dann ging es weiter mit den sauberen, gleichmäßigen Stichen, sie brauchte nicht einmal hinzusehen. Wahrscheinlich hatte sie diese Arbeit zigtausendmal verrichtet.
    «Ich habe schönes Amulett, von Ali geschenkt, als wir geheiratet. Darauf ist Morgendämmerung-Sure Surat al-Falaq, unser Sure 113 . Das nicht verkaufen, sagt Ali, nie verkauft, auch wenn Hunger. In Finnland muss immer verstecken, damit keiner wegnimmt, sagt, verkauf erst Schmuck, dann du bekommst Geld für Essen. Mein Schutz ist Amulett, viele neidisch, Nachbarin Batuulo neidisch, wollte kaufen, weil haben Geld, bekommen viel Geld. Ich sage, gib tausend Euro, bekommst Amulett. Fünfhundert, sagt Batuulo. Achthundert, ich. Achthundert hat dann gegeben. Ich das Geld Ayan gebe, sage geh geh geh weg von hier, aber schreib mir wenn angekommen. Wo soll ich hin, fragt Ayan. Weg von dem Mädchen, weit weg. Aber die Frau lügt, weint Ayan. Ich gesehen, wie du Adey angeguckt, du falsch gucken. Ich will, dass du lebst, meine anderen Töchter tot. Jetzt du gehst.»
    Je weiter Aishas Bericht voranschritt, desto schneller bewegte sich die Nadel. Nach dem letzten «gehst» hielt sie inne, die Naht war fertig. Aisha nahm ein kleines, scharfes Messer und trennte den Faden ab. Offenbar war der letzte Stich zugleich ein Knoten.
    «Miina Saraneva schwört, dass es zwischen den beiden Mädchen nichts gegeben hat, was irgendwer als falsch betrachten könnte. Sie waren Freundinnen, nicht mehr und nicht weniger.»
    Aisha stand auf, faltete das Hemd sorgsam zusammen und legte es auf den Sofatisch.
    «Willst du Tee, Kaffee?»
    «Nein … oder doch, eine Tasse Tee trinke ich gern.»
    Aisha ging in die Küche, ich hörte ein leises Klirren, dann kam sie mit Tassen und kleinen Keksen zurück. Das Gebäck lag auf einem Tablett, das mit einem reich verzierten Tuch ausgelegt war. Es war so dicht bestickt, dass man den weißen Stoff kaum noch sehen konnte.
    «Tee gleich fertig.»
    «Hast du das Tuch selbst bestickt?»
    «Be… was?»
    «Hast du das gemacht?»
    Sie nickte.
    «Es ist schön.»
    Aisha nickte wieder und ging zurück in die Küche. Ich strich über das Tuch und

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