Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition)
fühlen, wenn ich das täte? Willst du das? Du willst, dass ich dir alles erkläre? Ich soll dir erklären, was ich getan habe? So stellst du dir das vor?«
Bilder von Angela und mir beim Schachspiel blitzten vor meinem geistigen Auge auf. Unsere Mutter stand vor der Hintertür und erzählte uns Lügen. Die Bewegung ihrer Lippen passte nicht zum Klang ihrer Stimme, die in meinem Kopf widerhallte. Mir sank das Herz. »Es war Mom, nicht wahr? Du hast es getan, weil sie wollte, dass du es tust.«
Onkel wurde bleich. Er ließ die Zigarette zwischen den Lippen hängen und trat mit seltsam unheimlichen Bewegungen auf mich zu. »Sag nie wieder so einen Scheiß über deine Mutter. Niemals. Hörst du? Hast du eine Vorstellung davon, was diese Frau für euch Kinder durchgemacht hat? Hast du auch nur die geringste Ahnung? Sie ist deine Mutter, und wenn du von ihr redest, dann tu es gefälligst mit Respekt.«
»Ich habe euch gehört. Ich habe gehört, was ihr geredet habt. Ich habe gehört, was sie gesagt hat. Du hast ihr gesagt, dass du es nicht tun willst, aber sie–«
»Sie war außer sich, Andy. Sie hatte gerade herausgefunden, was passiert war. Sei ein bisschen nachsichtig mit ihr.«
»Sie hat dich dazu gebracht …«
»Sie hat mich zu gar nichts gebracht.« Er nahm die Zigarette aus dem Mund und ließ die Hand sinken. Rauch quoll aus seinen Nasenlöchern hervor. »Lass sie aus dem Spiel.«
Ich hätte mich gerne hingesetzt, aber ich blieb wie erstarrt neben der Tür stehen. »Sie ist auch daran beteiligt, sie ist–«
»Wir sind alle beteiligt«, fuhr er mich an. »Ich sage dir das nicht noch einmal, Andy. Lass deine Mutter aus dem Spiel. Du bist hierhergekommen, um mit mir zu reden. Also rede. Sag mir, was du zu sagen hast.«
»Ich habe nichts mehr zu sagen.« Ich wandte mich zum Gehen.
»Du stellst dich gegen mich? Auf die Seite eines Jungen, der deine Schwester vergewaltigt hat? Gegen mich? Was zum Teufel ist mit dir passiert? Ich hätte nie geglaubt, dass irgendwas zwischen dich und mich kommen könnte. Ich habe gedacht, wir wären Freunde. Ich dachte, dass es zwischen uns bleibt wie immer, dass wir immer Freunde sein werden.«
Als ich nichts darauf antwortete, folgte er mir zur Tür. »Vielleicht solltest du an Angela und deine Mutter denken und daran, was sie wegen all dem durchmachen müssen. Meinst du nicht, dass sie schon genug gelitten haben? Oder sind sie dir auch gleichgültig geworden?«
»Denkst du jetzt gerade an sie, an Mutter und Angie?« Ich fand endlich den Mut, mich ihm wieder entgegenzustellen. »Hast du an sie gedacht, als du Michael Ring ermordet hast?«
»Sie werden nicht ewig nach ihm suchen«, sagte er plötzlich, als ob es darum ginge. »Er ist abgehauen, oder vielleicht ist ihm etwas passiert – etwas Schlimmes. Aber erinnerst du dich, dass ich dir gesagt habe, ich würde mich nach ihm erkundigen? Das habe ich getan, und die Rings sind arme Leute. Niemand in dieser Familie hat irgendwo irgendwelchen Einfluss. Es ist nicht so, wie wenn das Kind eines Senators vermisst wird. In ein, zwei Wochen schert sich niemand mehr darum. Er wird nur einer von vielen Punks sein, die abgehauen sind, mehr nicht.«
»Nur, dass er nicht abgehauen ist.«
»Weißt du, die meisten Jungen hätten den Mistkerl einfach angegriffen, ohne an sich selbst oder an die Konsequenzen und dergleichen zu denken. Sie hätten den Schweinehund einfach angegriffen. Aber du nicht, nein, du bist zu gut dafür. Das ist unter deiner Würde, nicht wahr?« Wieder lachte er leise und geringschätzig. »Was ist verkehrt mit dir? Warum machst du dir überhaupt Sorgen um ihn?«
Etwas in meinem Inneren zerriss. Es war etwas Emotionales, nichts Physisches, als sei ein Teil meiner Seele zersprungen wie ein inneres Organ. »Ich mache mir keine Sorgen um ihn! Er ist mir scheißegal! Warum begreifst du das nicht?« Ich zitterte am ganzen Leib so heftig, dass ich mich kaum auf den Füßen halten konnte.
Wir schwiegen beide eine Weile, und nach kurzer Zeit spürte ich, dass ich mich wieder beruhigte und mich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. »Ich mache mir keine Sorgen um ihn«, sagte ich leise. »Ich mache mir Sorgen um dich . Ich will nicht, dass du so bist. Ich will nicht, dass du–«
»Denke immer daran, Andy«, sagte er, und das Lachen war ihm vergangen, »die Welt ist nun einmal nicht so, wie du sie gern hättest, sondern so, wie sie verdammt noch mal ist.«
»Ich liebe dich, Onkel, aber–«
»Ich weiß, dass du
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