Sag Onkel - Psycho-Thriller (German Edition)
manche Leute verblüffend veilchenblaue Augen, ein überwältigendes Lächeln oder Körper haben, die ohne Mühe immer natürlich wirken und aussehen wie aus Marmor gehauen.
Sie schaufelt diese Cremes mit den Fingern aus ihren Dosen wie Bärenjunge Honig aus dem Topf holen und schmiert sie dann mit einer sanften Effizienz auf sich, von der ich wünschte, ich könnte sie ebenfalls bewerkstelligen, eine natürliche Haltung und Eleganz, bei der ich mich oft fühle wie ein Ochse, der neben einer Ballerina dahertrampelt.
Obwohl sie kaum einen Meter weit von mir entfernt ist, kommt mir der Abstand unendlich groß vor.
Ich stieg aus dem Auto und ging vorsichtig über die Straße zur Kirche. Es war so kalt geworden, dass das Atmen schwer fiel, doch ich blieb einen Augenblick auf den Stufen stehen, sah die Türen und die Buntglasfenster an. Ich wusste nicht wirklich, warum ich hier war, nachdem ich seit dem Morgen, an dem ich vor so vielen Jahren hier gewesen war, keinen Fuß mehr in eine Kirche gesetzt hatte. Dennoch ging ich die Stufen hinauf, versuchte mein Glück an der Tür und war überrascht, sie unverschlossen zu finden.
Im Inneren war die Zeit stehen geblieben, nichts war umgestellt oder verändert worden, seit ich als Teenager das letzte Mal hier gewesen war.
Als sich die Tür hinter mir schloss, bemerkte ich eine Frau mit einem Kopftuch in der Nähe des Altars. Sie hatte einen Putzlumpen in der einen Hand und eine Sprühflasche in der anderen, und obwohl es in der Kirche fast dunkel war, sah ich, dass sie mich anlächelte.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte ich, »ist es in Ordnung, dass ich hier bin?«
»Natürlich.« Sie nickte bedächtig und zeigte auf die Kirchenbänke. »Ich muss abschließen, wenn ich fertig bin, aber ich brauche noch eine halbe Stunde oder so.«
»Danke.«
Als die Frau ihre Arbeit wieder aufnahm, setzte ich mich in die letzte Bank, die am nächsten an der Tür stand, und betrachtete den Altar. Das gleiche, enorme Kruzifix hing an der Wand dahinter, Schönheit und Grauen miteinander vereint. Wie im Leben selbst.
Es regnet. Ich sehe die Tropfen am Fenster zum Garten hinunterrinnen, über das Glas schleichen wie flüssige Schlangen, die die Bäume, das Vogelbad, den Gartenteich und den Wald dahinter verschwimmen lassen. Es regnet seit Tagen, aber das macht mir nichts aus. Ich liebe den Regen. Ich finde ihn friedlich und reinigend, etwas, das mich daran erinnert, dass ich lebendig bin auf dieser Erde.
Martha und ich haben den Tag drinnen verbracht, aber nachher werden wir einen Spaziergang im Regen machen, und sie wird mir erzählen, was sie heute erlebt hat, mit einer Stimme, die durch das Trommeln der Regentropfen auf ihrem Regenschirm kaum hörbar sein wird. Bis dahin kuscheln wir drinnen, nun schon seit einiger Zeit schweigend, lauschen unseren Gedanken und dem langsamen, gleichmäßigen Rhythmus des Regens.
Ich wende mich vom Fenster ab, sehe sie an, wie sie da auf unserem Bett sitzt. Als sie meinen Blick bemerkt, hebt sie leicht die Hand und blinzelt, erwachend aus Tagträumen. Ihre Augen wandern von meinem Gesicht zu dem Drink in meiner Hand. »Warum trinkst du an ruhigen Tagen wie diesen?«, fragt sie.
»Um zu vergessen«, sage ich. »Und warum tust du es?«
»Um mich zu erinnern.« Sie klopft neben sich auf das Bett, wie um ein Kind oder einen Hund zum Kommen aufzufordern. »Komm her«, flüstert sie.
Und ich tue es.
Nirgendwo ist es so still wie in einer leeren Kirche. Ich hatte vergessen, wie tief diese Stille sein kann, und öffnete mich ihr, ließ mich von ihr überfluten. Trotz der Frau, die in der Nähe die Kirchenbänke sauber machte, blieb ich auf den Altar und die dahinter liegende Christusfigur konzentriert. Ich erinnerte mich, wie real mir all dies erschienen war, als ich ein Kind war – lebendig und pulsierend – weihevoll und heilig. In späteren Jahren hatte ich zugelassen, dass Gott etwas Unpersönliches und Unerreichbares wurde, ein Trugbild, verborgen im fernen Nebel, und obwohl ich noch immer glaubte, tat ich das auf eine sehr viel banalere Weise, wie ich an die Vergangenheit glaubte, den Bürgerkrieg oder die große Depression – auf eine distanzierte und analytische Weise. Die Magie und das Geheimnis, die das Leben einst umgeben hatten, waren ja auch sonst überall verblasst, warum also nicht auch hier? Die Zeit hatte beides niedergetreten und beinahe ihres Sinns beraubt.
»Beinahe«, flüsterte ich als Antwort auf meine Gedanken oder vielleicht
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