Saga von Dray Prescot 28 - Pandahem-Zyklus 02 - Delia von Vallia
anzutreiben.
Sie stolperte vorwärts.
Keines der anderen Mädchen war vor ihr zu sehen. Ihr bedeutete es natürlich nichts, dieses widerliche Rennen zu gewinnen. Sie wollte nur endlich die Ziellinie erreichen und sich von dem Inkubus befreien.
Sie konnte sich nicht ausmalen, wie sie in diesem Augenblick aussah. Sie hatte einen gewissen Eindruck von dem Tisch am anderen Ende, der langsam näher kam. Cranchar hatte in das Gebrüll der anderen eingestimmt und schwenkte erregt seinen Weinkelch.
In ihr regten sich erste Zweifel, ob sie das Rennen schaffen konnte. Ihr Körper fühlte sich an, als werde er mit jedem Schritt tiefer in den Boden gedrückt. Der Mann auf dem Rücken klammerte sich so unglücklich fest, daß sie kaum zu atmen vermochte. Es hätte sie nicht überrascht, wenn er ihr büschelweise Haare ausgerissen hätte. Sie kämpfte weiter, doch ihre Zweifel wuchsen. Sie würde es niemals auf die andere Seite schaffen! Niemals! Aber sie wollte es schaffen. Ihr Stolz - dieser verdammte, dämliche Stolz. Was hatte der Stolz ihr jemals gebracht? Hier und jetzt zwang er sie dazu, sich mit der obszönen Last auf dem Rücken durch den Saal zu mühen, anstatt sich mit dem Gesicht voran zu Boden sinken und später auspeitschen zu lassen wie alle anderen.
Noch etwa zehn große Schritte! Schritte! Ha! Es waren eher zehn schwankende, stockende Schlurfbewegungen. Torkelnd, dümpelnd wie ein entmastetes Schiff bei Sturm.
Acht Schritte noch, sieben, dann sechs. Ein Splitter des Bodens bohrte sich tief in ihre Ferse, aber sie achtete kaum darauf.
Fünf, vier…
Cranchar trank schwungvoll seinen Wein, warf den Kelch über die Schulter und griff nach einem neuen Gefäß. Drei Schritte, zwei…
Der linkshändige Dolch steckte im Boden.
Er markierte die Ziellinie.
Noch ein letzter Schritt…
Der Boden unter ihren Füßen schien auf und nieder zu sinken und ließ ein Gefühl der Übelkeit in ihr aufsteigen. Ihr Reiter krallte an ihr herum, brüllte ihr ins Ohr, hieb mit der Peitsche auf sie ein. Sie beachtete ihn nicht. Die Welt verengte sich auf zwei Dinge, die in ein rosa Feuer gehüllt zu sein schienen, strahlend, flackernd, verlo c kend.
Das erste war Cranchar Gollois der Cranchu.
Das zweite der linkshändige Dolch.
Der erste fuchtelte mit dem neuen Kelch herum, so daß der Wein wie goldener Regen herumsprühte, das Gesicht scharlachrot angelaufen, der Mund brüllend weit geöffnet. Schweiß bedeckte das Gesicht.
Der zweite Brennpunkt ihrer Aufmerksamkeit ragte aus dem Boden, die Spitze tief eingesunken, der Griff reich verziert, die Klinge eine schimmernde Verheißung des Todes.
Sie durfte den Kerl auf ihrem Rücken nicht vergessen, der ihr die Beine nun um den Oberkörper geschlungen hatte. Aber das konnte nicht weiter schwierig sein. Sie hatte ihn bis jetzt nicht abgeschüttelt und wußte auch den Grund. Jetzt rollte sie ruckhaft die Schultern und entledigte sich seiner, als wäre er ein Wäschesack. Er landete krachend auf dem Boden. Sie widmete ihm keinen Blick. Der Abwurf war eine der leichtesten Übungen der Selbstverteidigung, die man in Lancival lernen konnte.
Sie warf sich auf den linkshändigen Dolch.
Verblüffung überkam sie.
Sie war langsam.
Unendlich langsam.
Ein verzehrender, vernichtender Zorn auf die eigene Schwäche überkam sie. Ihre Muskeln protestierten. Ihr Körper fühlte sich an, als versuche sie damit durch geschmolzenes Metall zu gehen.
Mit der rechten Hand tastete sie nach dem Dolch.
Die Main-Gauche paßte sich ihrer Hand nicht an, der Steg und der durchstoßene, verwickelte Schild widersetzten sich ihrem verzweifelten Versuch, den Dolch wie ein Krieger zu ergreifen. Sie mußte die Hand umdrehen und die Klinge mit dem Daumen am Knauf und den kleinen Finger zur Klinge umfassen. Genau andersherum war es ein Rapier-Dolch-Kämpfer normalerweise gewöhnt…
Cranchar zeigte sich nur kurze Zeit verblüfft. Dann sprang er rückwärts, ließ den Kelch fallen, tastete nach seinem Rapier.
Delia stürzte sich auf ihn.
Die zustoßende Main-Gauche funkelte.
Von der Seite fuhr eine lange dünne Rapierklinge dazwischen. Der aufzuckende Stahlblitz schlug den Dolch nieder. Delia konnte ihre Vorwärtsbewegung nicht stoppen und bohrte die Klinge heftig in das Holz des Tisches.
Cranchar schrie schrill auf.
»Spieß sie auf, Nath - du Dummkopf!«
Nath der Muncible hielt sein Rapier fest über Delias ausgestreckten Arm. Es machte ihr Mühe, Luft in die Lungen zu saugen. Sie zitterte an Armen
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