Sagen und Märchen Altindiens
Morgensonne, doch senkte der Gangasohn in Ehrfurcht vor dem Lehrer die Waffen, bis der Wagenlenker den Wunden gelabt und gestärkt hatte. Wohl wankte auch Bhischma, als ein Speer des Gewaltigen seinen Wagenlenker durchbohrte und ihn in die Lende traf; doch als er vom Wagen stürzen wollte, standen die acht Wasugötter, denen er seine Stärke verdankte, um ihn, glänzend wie die Sonne oder das opferfressende Feuer und duftend wie die Gärten am Götterberg Kailasa. Die stützten und stärkten den Wankenden. Als Bhischma wieder aufrecht stand, sah er die Mutter, die göttliche Ganga, neben sich auf dem Wagen, den Stachelstock schwingend und die Zügel in kräftiger Hand.
Nun sausten sie über das Kampffeld hin, und Bhischma schwang in seiner Rechten den goldbeschlagenen Speer des Schöpfers Pratschapati, den der Götterschmied einstens geschmiedet hatte.
Als Rama die furchtbare Waffe sah, rief er, die Lanze senkend:
»Genug! ich bin besiegt, denn du bist unbesieglich, Bhischma!«
Nun sprangen beide Kämpfer vom Wagen, erwiesen einander alle Ehrerbietung und schlossen Frieden.
Rama gestand Amba, daß niemand ihr helfen könnte, denn Bhischma sei unbezwinglich.
Die Unglückliche zog darauf in die Wildnis und suchte von neuem durch fromme Buße den Zorn der Himmlischen auf Bhischma zu lenken. Nach langem Fasten, Beten, Dürsten, Zehenstehen und anderen qualvollen Übungen sah sie Schiwa, den Zerstörer, und er ließ sie eine Gnade erbitten. Da bat Amba: »Sterben soll Bhischma, der Räuber, durch mich, die Geraubte, o Herr!«
»Gewährt!« sprach der Gott.
»Doch wie kann ich schwaches Weih den Heldenbezwinger fällen?« fragte die Verzückte, zitternd vor Furcht und Freude.
»Nach deinem Tode wirst du an Drupadas Hofe wiedergeboren werden, und dann soll der Starke durch deine Schwäche sterben!«
Damit verschwand der Strahlende.
Arnba schichtete Holz zu einem mächtigen Haufen und legte Feuer daran. Dann sprang sie in die lohenden Flammen und starb mit dein Schrei:
»Zu Bhischmas Verderben!«
Zur selben Stunde aber wurde dem König Drupada von Pantschala ein Kind geboren.
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Drupada, der längst einen Sohn ersehnte, hatte die Götter in reichen Opfern um diese Gnade angefleht und seiner Gattin die köstlichsten Schätze für einen Prinzen versprochen. Als diese nun ein Mädchen zur Welt brachte, erschrak sie gar sehr, und um ihrem Gatten den Kummer zu ersparen, gab sie das Kind vor aller Welt für einen Knaben aus. Drupada ließ die üblichen Sohnopfer feiern, und das Kind wuchs als Prinz Schikhandin heran. Nur die Mutter wußte, daß es ein Mädchen sei.
Als der mächtige Dascharnerherr später mit Drupada ein Bündnis schloß, vermählte der Pantschalerkönig seinen vermeintlichen Sohn mit der lieblichen Tochter des Königs von Dascharna, um dem Bunde der beiden Reiche starken Halt zu verleihen.
Doch wehe: die Prinzessin von Dascharna erkannte in Schikhandin das Weib und jagte die Verkleidete unter dem Gelächter ihrer Sklavinnen davon.
Als sie das ihrem Vater erzählte, rüstete der Ergrimmte sein Heer, um den Schimpf an Drupada zu rächen.
Der Pantschalerkönig war in Sorge um seine Herrschaft, als ihm die Gattin die Täuschung gestand, und seine Furcht wuchs, als ein Herold das Nahen des rächenden Dascharnerheeres meldete.
Schikhandini, die sich für die Ursache des drohenden Unterganges hielt, lief voll Verzweiflung in den Wald, um dort zu sterben.
Im Walde aber hauste ein guter Geist, namens Sthuna, ein Diener Kuberas, des Schatzgottes. Der sah das arme, weinende Mädchen und versuchte es freundlich zu trösten. Und als die Tränenreiche vor Schluchzen keine Worte finden konnte, versprach er, vermöge seiner Zauberkraft jeden ihrer Wünsche zu erfüllen, wenn sie sich nur endlich beruhigen wolle!
Nun erzählte Schikhandini, wie dem Reiche und Leben ihres Vaters Gefahr drohe, und bat Sthuna, sie in einen Mann zu verwandeln.
So weit reichte nun die Macht des Waldgeistes nicht, doch um sein Versprechen zu halten, bot er ihr an, ein Jahr lang für sie als Weib im Walde zu leben. Sie könne derweil als Mann nach der Stadt gehen und den erzürnten Dascharnerherrn beruhigen. Nur müßte sie versprechen, nach Ablauf der Frist in den Wald zurückzukehren und das erborgte Manneswesen wieder mit ihrem weiblichen zu vertauschen. Dessen ward Schikhandini froh und gelobte auch, pünktlich übers Jahr zum Tausche zu kommen.
So war sie nun wirklich Schikhandin geworden und wanderte in die Stadt. Der gute
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