Sagen und Märchen Altindiens
der König von Schalwa, voll Eifersucht und in Furcht vor dem gewaltigen Bhischma, empfing die Getreue gar schlecht.
»Geh', wohin du willst!« rief er. »Nicht ziemt mir, zum Weibe zu nehmen, was ein anderer geraubt und im Überdruß von sich getan hat! Geh' hin zu dem Verhaßten! Ich mag dich nicht mehr, denn allzu willig folgtest du dem Entführer!«
»Du täuschest dich, Edler!« sprach die Liebende unter Tränen. »Mit Gewalt ward ich hinweggeführt und bitterlich weinend. Wende dich nicht von mir, die in steter Treue die Deine sein will!«
Doch der Schalwakönig verließ sie, wie eine Schlange ihre alte Haut.
Traurig zog Amba aus der Stadt und verfluchte ihr Geschick. Durch fleißige Bußübung hoffte sie des Himmels Rache auf Bhischma herabzuziehen, denn in ihm sah sie den Schöpfer ihres Leides. Im Walde fand sie eine Siedelei von Büßern, klagte den guten Alten ihr Leid und bat, sie in ihre Gemeinschaft aufzunehmen.
Unter diesen Sündenreinen lebte auch Ambas Großvater. Der hob die Trauernde auf und versprach ihr Hilfe: Sein Freund war Rama, der Sohn Dschamadagnis, ein edler Brahmane und Meister des Waffenhandwerks. Kein Kschattrija – so heißen die Söhne der Kriegerkaste – hatte ihn noch besiegen können. Diesem Priesterrecken sollte sie ihr Leid klagen, und der würde Bhischma zwingen, ihre Ehre durch Vermählung mit Witschitrawiria wiederherzustellen, oder sie an dem Verhaßten rächen.
Während der ehrwürdige Alte so freundlich und tröstend mit seinem Enkelkind sprach, kam ein Gefährte Ramas und meldete dessen Ankunft.
Als der Abend sich über den Wald legte, kam der edle Rama: im Büßerkleid, mit Axt und Schwert, den starken Bogen auf der Schulter und eine Schar von Schülern im Gefolge.
Amba fiel vor dem tapferen Priester auf die Knie, und während sie mit ihren zarten Händen seine staubigen Füße berührte, klagte sie weinend ihr Leid und bat um die Hilfe des Starken.
Vor den tränenerfüllten Augen der schönen Verstoßenen konnte der Priester mit dem Kriegerherzen seine Hilfe nicht versagen, obwohl er Bhischma als den besten seiner Schüler vor allem ehrte. Er versprach, Worte und Waffen daran zu setzen, daß die Schmach der Unglücklichen getilgt, ihre Makellosigkeit aller Welt kund werde.
Am nächsten Morgen zog er mit Amba und allen Waldsiedlern gegen Hastinapura und sandte einen Boten mit seiner Forderung voraus.
Bhischma eilte seinem Lehrer bis zur Landesgrenze entgegen und begrüßte ihn dort voll Ehrfurcht. Die Forderung, Amba seinem Bruder Witschitraviria zu vermählen, wies er zurück,
»Wer läßt ein Weib, das einen andern im Herzen trägt, wie eine Natter in seinem Hause wohnen?« sprach er.
Und als Rama drohte, die Erfüllung seiner Forderung mit den Waffen zu erzwingen, rief der tapfere Bhischma:
»Dich ehre ich, edler Lehrer, doch dein Unrecht muß ich bekämpfen! Ich will keinen Brahmanen töten, denn die größte Sünde ist Priestermord; doch des waffentragenden Gegners darf ich mich erwehren, was auch daraus werde! Auf zum Kurufeld, dort wollen wir uns messen!«
Und auf dem Kurufeld trafen die Gewaltigen einander, in schimmernder Wehr, auf goldgeschmückten Wagen, die mit Tigerdecken belegt und von kundigen Rosselenkern geführt wurden.
Beim schmetternden Klang der Kriegsmuscheln fuhren sie aufeinander los, die starken Waffen in Händen.
Amba sah zu und die Büßer aus dem Wald. Die Himmlischen verließen ihre Göttersitze, um die stärksten Recken im Kampf zu sehen, und die Menschen drängten, soweit nur ein Auge reichen kann.
So dicht wie Schlossen sausten von beiden Seilen die Pfeile, und Rama tötete dem Bhischma vier herrliche Falben. Doch der hatte ihn mit Pfeilen übergossen, daß er aus hundert Wunden blutete, und stand wie ein Strauch voll roter Blüten. Ein gewaltiger Schuß spaltete den Bogen Ramas. Nun griff der Brahmane zu den Speeren und schleuderte einen nach dem andern auf Bhischma. Ohne zu wanken stand dieser und fing sie mit dem starken Schild oder schoß auch manche mit breiten, vorne halbmondförmig geschliffenen Pfeilen in Stücke, ehe sie ihn erreichen konnten.
Vierundzwanzig Tage kämpften sie so, vom Sonnenaufgang bis zur Dämmerung, die das Götterauge schließt. Weithin erscholl der Lärm, wenn Erz auf Erz schlug. Götter liehen den Starken ihre Waffen, und konnte doch keiner des anderen Herr werden. Wohl wankte Rama, als Bhischma ihm mit goldfiedrigen Rohren das Haupt spickte, daß er strahlte wie ein Berg in der
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