Sagen und Märchen Altindiens
der heißblütige Bhima: »Fuhrmannssohn! Kutschersprößling!«
»Schweig!« rief Karna, sich stolz aufrichtend. »Ich liebe und ehre meinen Vater, und doch soll mich dein Wort verletzen; aber die Zeit wird kommen, da die Taten entscheiden, wer von uns adliger ist!« Dann wandte er sich und verließ mit seinem Vater die Arena. Von nun an nahm Karna an den Waffenspielen der Prinzen teil und schloß sich in Dankbarkeit und inniger Freundschaft an Durjodhana.
Das Fest der Walfenweihe kam heran, und die Prinzen machten ihren Lehrern alle Ehre. Außer Aswatthama, dem starken Sohn des Waffenmeisters Drona, und Kanin, dem neuen König von Anga, konnte man ihnen keinen vergleichen.
Beim festlichen Wettkampf wäre es fast zu Mord und Totschlag gekommen: Der starke Bhima hatte Durjodhana im Keulenkampf an die Wand gedrängt, und dieser schlug nun, vor Scham und Haß fiebernd, mitten im Scheinkampf ein paar wuchtige Hiebe. Da ergrimmte der zornmütige Sohn des Sturmgottes und hob seine Keule zu tödlichem Schlag. Mit schwerer Mühe nur konnten die beiden Waffenmeister die Erbitterten trennen.
Der Schluß des Wettkampfes war ein Bogenschießen der erlesenen Kämpfer Ardschuna und Karna. Es galt, ein kaum, sichtbares, hochhängendes Ziel mit glattschaftigem Pfeil herunterzuholen. Als die beiden Bogenschützen auf den Schießstand traten, sprach der Waffenmeister Drona:
»Nennt mir, nach alter Sitte, die Helden, vor deren Augen ihr glänzen wollt!«
Karna rief:
»Bhischma seh' ich hier, den unbezwinglichen Gangasohn, der möge mich als Sieger schauen, und der blinde König Dhritaraschtra soll von meinem Ruhme hören!«
»Und du, Ardschuna? auf wen siehst du voll Stolz?«
»Ich schau' aufs Ziel! – und nur aufs Ziel!« rief der Pandava, hob den Bogen und schoß den hölzernen Vogel in Stücke.
»Heil Ardschuna! hoch die Pandava!« jubelte das Volk und umdrängte den blinden Herrscher. »Weih' einen der Pandava zum Thronfolger!« »Heil Pandu und seinen tapferen Söhnen!« rief es rings in der Menge.
Da entschloß sich Dhritaraschtra, den ältesten Prinzen vom Bharalastamm, den rechtlich denkenden Judhischthira, vor allem Volke zu seinem Nachfolger, zum künftigen ›Herrn der Erde‹, zu weihen.
Durjodhana aber schlich sich mit Karna und dem Oheim Schakuni beiseite, und die Zornigen berieten, wie sie die Pandava verderben könnten.
Drona forderte von seinen Schülern das halbe Reich des Königs Drupada von Pantschala als Sold und Probe ihrer Kriegstüchtigkeit. Ardschuna zog mit seinen Brüdern aus. Sie bezwangen das Heer der Pantschaler, und der Indrasproß fing den König Drupada und brachte ihn seinem Waffenmeister.
Bhima hatte sich in der Schlacht besonders ausgezeichnet und unter den Pantschalern gewütet wie Feuer in dürrem Holz. Fast hätte er auch den gefangenen König erschlagen. Der besonnene Ardschuna und Judhischthira in seinem hohen Rechtsgefühl hatten Mühe, die Kampfwut des Unbändigen, zu zügeln.
Drona freute sich dieser kühnen Waffentat seiner Schüler, und nachdem Drupada ihm sein halbes Reich abgetreten hafte, entließ er den Gefangenen in seine Heimat.
Das Ansehen der Pandava aber wuchs von Tag zu Tag weit über die Grenzen des Landes.
Feindschaft
Neid, Furcht und Haß glommen in Durjodhanas Herzen, als er die Pandava so hoch in Ehren sah. Sein wilder Bruder Duchschasana und sein ränkevoller Oheim Schakuni schürten die Glut mit Bildern, wie die starken Pandava einst den schwachen Kaurava den Fuß auf den Nacken setzen würden und mit Plänen, wie man sich ihrer entledigen könnte. Der tapfere Karna predigte offene Feindschaft. Da trat Durjodhana vor den blinden König. Er sprach ihm von der Volksgunst, die sich die Pandava erschlichen hätten, von der drohenden Gefahr für seine Söhne, wenn die Söhne Pandus durch Judhischthira zur Herrschaft im Reiche gelangten, und vom Untergang seines Hauses, wenn die Starken sich's einfielen ließen, zu ertrotzen, was ihnen nie gewährt werden könnte. Er weinte und drohte, schrie und schalt Dhritaraschtra einen kindischen Greis, der es nicht verstünde, den drohenden Sturm von seinem Hause zu wenden.
Und dem guten alten König bangte um die Seinen. Angstlich, wie er infolge seines Gebrechens war, lieh er den Klagen des herrschsüchtigen Sohnes, den Plänen des listigen Schwagers sein Ohr und entschlüpfte vor den friedfertigen Ratschlägen des weisen Vidura, vor der ahnungsvollen Warnung seiner treuen Gattin Gandhari.
Er verbannte Judhischthira
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