Sagen und Märchen Altindiens
aus dem Dunkel der Bäume auf den Geliebten zu.
Bhima ging der Schönen verwundert entgegen.
Hidimbaa neigte sich errötend und flüsterte: »Wer bist du, schöner Jüngling, den ich lieben muß, und wer sind die, die dort schlafen, ohne die schreckliche Gefahr zu ahnen? Wisse, ein menschenfressender Riese, mein Bruder Hidimbas, haust hier im Wald. Er hat mich nach euch gesandt, denn er will euch fressen. Doch ich liebe dich und begehr' dich zum Gatten, braunäugiger Held! Flieh' mit mir! meine Zauberkraft trägt dich durch die Lüfte, und wir wollen auf unnahbaren Bergesgipfeln glücklich sein!«
»Wie sollt' ich die Schlafenden verlassen, die mir vertrauen!« sprach Bhima, die Verführerin erschreckt von sich schiebend.
»Wecke sie!« flüsterte Hidimbaa, »ich rette euch alle!«
»Nein, nein! sie schlafen zu gut!« sprach Bhima kopfschüttelnd. »Ich kann mit dem Kerl allein fertig werden! – führe mich nur zu ihm – ich fürchte nicht Tod und nicht Teufel, und ein Riese ist mir gerade recht –«
Während Bhima noch sprach, stürzte Hidimbas, dem das Warten zu lange geworden war, aus dem Wald, griff mit harter Faust nach der Schwester und begann die Verliebte zu schelten.
Doch Bhima umfaßte den vorgestreckten Arm des Riesen, und wie der Löwe einen Büffel, schleifte er ihn über den Boden, acht Bogenschüsse weit.
»Ruhig!« murmelte der Treue dabei, »wirst du ruhig sein! dort schläft meine Mutter und die Brüder! Willst du sie wecken um nichts?«
Da ermannte sich der Riese und faßte Bhima laut brüllend um den Leib.
»Lärme nicht! die Schläfer ruhen so sanft!« flüsterte Bhima und schleppte den Schreienden wieder ein Stück weiter fort.
Nun ergrimmte Hidimbas und riß sich loß. Ein gewaltiger Kampf begann, bei welchem die Beiden Bäume entwurzelten und Felsen aufeinander warfen.
Beim Toben des Kampfes erwachten die Pandava. Hidimbaa sprach den Lauschenden voll Angst von der Gefahr, in der sie schwebten, und führte sie zitternd nach dem Kampfplatz.
Da wüteten die beiden Kämpfer gegeneinander, wie sechzigjährige Elefanten. Wie dichter Rauch wirbelten die Staubwolken empor.
Ardschuna rief dem Bruder Mut zu, als er die zwei Starken wie Löwen ineinander verkrampft sah, und griff nach seinem Bogen. Doch Bhima wies jede Hilfe zurück.
Mit Sturmeskraft umfing er den Leib des Riesen, und unter dem eisernen Druck der gewaltigen Arme wurde Hidimbas Brüllen zum Röcheln, die Augen quollen aus ihren Höhlen – ein Krachen – und mit gebrochenem Rückgrat fiel die Leiche des Riesen zu Boden.
»Und nun die Riesenschwester!« rief Bhima mit rotfunkelnden Augen und stürzte auf Hidimbaa los. Doch Ardschuna trat dazwischen und der rechtlich dunkende Judhischthira, und sie beruhigten die Kampfwut des Unbändigen. Der wischte sich Staub und Schweiß aus den Augen und sah verlegen die Riesenschwester als schöne Menschenjungfrau vor sich stehen. Schüchtern faßte er nach ihrer Hand und führte sie still unter den Banyanenbaum. Die Schöne gelobte, ein Jahr lang Bhimas getreues Weib zu sein und ihm, kraft ihrer Zauberkraft, die Wonnen aller Göttergärten auf den Bergeshöhen zu zeigen. Dann müsse sie ihn verlassen und ins Riesenreich zurückkehren.
Und fröhlich zog Bhima nun tagsüber mit Hidimbaa durch die Lüfte, von Gipfel zu Gipfel; bei Nacht aber wachte er getreulich am Lager der Seinen, unter dem Banyanenbaum.
Als das Jahr um war, schenkte ihm die Gattin einen starken Sohn, den Ghalotkatscha, und der erwuchs noch in der Stunde seiner Geburt zum fertigen Mann. Mit ihm schlug Hidimbaa, nach freundlichem Abschied, den Weg gegen Norden ein und entschwand den traurigen Blicken Bhimas für immer. Ghatotkatscha aber hat den Pandava später noch manchen guten Dienst geleistet.
Um Bhimas Leid zu mildern, gaben die Verbannten bald nach Hidimbaas Abschied das Lager unter der Banyane auf und zogen weiter durch den Wald. Als sie nach langem Wandern in eine Stadt kamen, gaben sie sich für Büßer aus und fanden bei einer Brahmanenfamilie freundliche Aufnahme. Tagsüber zogen sie einzeln von Tür zu Tür und erbettelten nach alter Büßersitte ihre Nahrung. Abends teilte Kunti alles Erbettelte in zwei gleiche Teile und gab die eine Hälfte dem ewig hungernden Bhima, von der anderen sättigte sie sich selbst und ihre vier übrigen Söhne.
Eines Abends hörte Kunti im Zimmer des gastfreundlichen Brahmanen lautes Wehklagen. Und da sie sich tief in der Schuld der Guten wußte, lauschte sie, in der
Weitere Kostenlose Bücher