Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
der Worte des Apostels Paulus in seinem zweiten Brief an die Korinther: »Von den Juden habe ich fünfmal vierzig Streiche weniger einen bekommen …«
Pater Amorós, der dem Heim vorstand, wurde auf die unerbittliche Selbstkasteiung aufmerksam, der sich der junge César unterwarf, um seine Sünden zu büßen. Es freute ihn, dass Gott einen ihm so treu ergebenen Diener gefunden hatte, und so wurde er sein Beichtvater und väterlicher Freund, eine Art Ersatz für die Familie, die der Junge nie gehabt und sich immer gewünscht hatte. Er wurde Césars moralisches und geistiges Vorbild, das dieser als Mensch und künftiger Diener Gottes brauchte. Sein Leben spielte sich immer mehr innerhalb jener vier Wände ab, und nach und nach gab er die Elektrikerlehre auf und verlegte sich auf das Bibelstudium. Sein Hauptaugenmerk aber galt den Flagellanten und der Geschichte der Bettelorden. So wurde aus ihm im Laufe der Zeit ein Diener und Nachfolger Christi, entsprechend dem Gebot aus dem fünften Buch Mose, in dem es heißt: »Das fordert der Herr, dein Gott, von dir, nichts als nur den Herrn, deinen Gott, zu fürchten, auf allen seinen Wegen zu gehen und dem Herrn, deinem Gott, zu dienen mit deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele, indem du seine Gebote hältst …«
Eines Abends war Pater Amorós zu dem jungen Mann getreten, der mit hingebungsvoll blutig geschlagenem Rücken auf dem Betstuhl kniete, hatte ihm mit einem nassen Handtuch das Blut abgewischt, den Rücken mit einer aus Kupferoxid, Honig und Essig bestehenden Heilsalbe bestrichen und ihn aufgefordert, einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Erlösung und zu seiner Berufung im Dienst des Herrn zu tun. Mit sanfter Stimme hatte er ihm den Vorschlag unterbreitet, er solle Esperanto lernen, da die Kenntnis dieser Sprache für seine spätere Aufgabe unerlässlich sei. César Vázquez verstand nicht von ferne, wovon der Mönch sprach oder was von ihm erwartet wurde, stimmte aber zu, ohne Fragen zu stellen, fest überzeugt, dass der Herr seinen Willen durch dessen Mund kundtat.
In seinem Zimmerchen, das einer Mönchszelle glich, machte er Tag für Tag größere Fortschritte in der Kenntnis des von Doktor Leyzer Ludwik Zamenhof 1887 als Weltsprache entwickelten Idioms, mit dessen Hilfe er die Sprachgrenzen zwischen den Menschen aufheben und damit der Feindschaft zwischen Völkern und Rassen ein Ende bereiten wollte. An seinem Tisch voller Bücher und Notizen murmelte César die Vokabeln und Formen vor sich hin, um sie sich einzuprägen, und sagte sich, diese Sprache werde ihn zurück zum Ursprung göttlichen Wissens führen, zum Turm von Babel – wobei bab-ili nichts anderes bedeutet als »das Tor, das zu Gott führt« -, den die Menschen in der Ebene des Zweistromlandes errichtet hatten, woraufhin der Herr sie strafte, indem er ihre Sprache verwirrte.
Voll Stolz und Befriedigung beobachtete Pater Amorós die bemerkenswerten Fortschritte seines Schülers, der noch im Schlaf die grammatischen Grundlagen der Kunstsprache vor sich hin murmelte: »Substantive enden auf - o , Adjektive auf - a …; beide bilden den Plural mit der Endung - i …« So rasch kam der junge Mann mit dem Erlernen von Esperanto voran, dass er sich schon bald daran wagen konnte, das Alte Testament in dieser Sprache zu lesen und sich in ihr zu unterhalten. Damit war er bereit für den nächsten Schritt.
Pater Amorós übergab ihm ein Blatt mit dem Morsealphabet. Césars Aufgabe war es, auch jenes System zu erlernen, das Buchstaben und Ziffern in Punkte und Striche verwandelt. Er stand kurz vor dem Ziel. Pater Amorós musste ihn nur noch zum »Krieger des Herrn« erklären, womit er Bestandteil einer im Geheimen wirkenden militia Christi wurde. Diese Miliz Christi bestand aus Männern verschiedenster Nationalitäten, die sich alle auf Esperanto miteinander verständigten und das Morsealphabet beherrschten.
Während César in der Kapelle vor dem Bild des Gekreuzigten kniete, ließ ihn Pater Amorós schwören, dass er Schweigen über alles bewahren werde, was er erfuhr, wie auch über alles, was ihm künftig anvertraut würde. Das tat der junge Mann, wobei er Christus zum Zeugen anrief. Nachdem er mit einem feierlichen Eid bekräftigt hatte, dass er bereit sei, sein Leben für die Sache des Herrn und der Kirche zu geben, legte ihm Pater Amorós die Hände auf den Kopf, flüsterte die Formel der Bluttaufe und gab ihm den Namen Abdias, vom hebräischen abadyahu , »Diener Jehovas«. Dieser geheime
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