Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
Auf einem Couchtisch sah Munárriz mehrere Exemplare der Zeitschrift Subastas , in der solche Kunstauktionen angekündigt wurden. Die Bilder an den Wänden, erläuterte Bonastre, auch sie das Werk berühmter Maler, die hoch im Kurs standen, seien Leihgaben seiner Eltern. »Sie dürfen sie sich gern ansehen. Es sind Arbeiten von Georgia O’Keeffe, Grant Wood, Diego Rivera, Otto Dix und George Grosz. Mein Vater ist nämlich Kunstsammler, und er hat uns einen großen Teil dieser Bilder als Dauerleihgaben überlassen.«
»Dann ist er wohl kein armer Mann.«
»Ist Ihnen die International Insurance Company ein Begriff?«
»Aber ja!«, rief Munárriz aus. »Bei denen ist mein Wagen versichert.«
»Papa gehören achtzig Prozent der Aktien dieses Unternehmens.«
»In dem Fall bin ich mit meinen Beiträgen möglicherweise für die Schrauben an der Konsole da aufgekommen«, scherzte Munárriz, wobei er auf eins der Möbelstücke wies.
Lachend forderte ihn Bonastre auf, erneut Platz zu nehmen.
»Kaffee?«
»Nein danke.«
Bonastre klappte einen Sekretär auf, ein Unikat des französischen Kunsttischlers Bernard Molitor, und entnahm ihm einen gepolsterten Umschlag und ein Bändchen mit Gedichten. Beides gab er Munárriz. Dieser musterte alles aufmerksam: die mit Filzstift geschriebene Anschrift und das mit Blasenfolie gefütterte Innere des Umschlags. Als Nächstes sah er sich das Buch genauer an. Es war eine preisgünstige Ausgabe von sechsundneunzig Seiten mit Gedichten von Federico García Lorca, darunter die Zigeunerromanzen , die Ode an Salvador Dalí sowie Dichter in New York . Ihm fiel auf, dass am Ende der ersten Strophe der Schlafwandler-Romanze mit Klebefilm ein kleiner Schlüssel befestigt war. Er löste ihn ab. Auf seinem runden oberen Teil stand: »Tefro, Made in Italy, LCE-015918-Z«.
Munárriz nahm den Bund mit den Schlüsseln zu Begoñas Wohnung heraus und verglich den gezackten Bart des Schlüssels aus dem Buch mit dem kleinsten der drei. Es gab nicht die geringste Übereinstimmung. Also gehörte er nicht zur Wohnung in der Calle Santaló. Erneut sah er sich den Umschlag genau an. Der Poststempel war nur zum Teil leserlich, lediglich das Datum ließ sich erkennen: Es war der Tag ihres Todes. Sie musste den Brief spät am Freitag oder ganz früh am Samstagmorgen vor der ersten Leerung zur Post gegeben haben. Er legte den Umschlag auf ein Seitentischchen, nahm erneut das Buch zur Hand und las die erste Strophe bedächtig und mit leiser Stimme vor, als suchte er darin eine Beziehung zu dem Schlüssel. Bonastre hörte ihm schweigend zu.
Grün, wie ich dich liebe, Grün,
Grüner Wind, grüne Zweige,
Das Schiff auf dem Meer
und das Pferd im Gebirge …
»Haben Sie eine Vermutung, wozu dieser Schlüssel gehören könnte?«, fragte er Bonastre, nachdem er das Lorca-Gedicht zu Ende gelesen hatte.
»Nicht die geringste«, gab dieser zurück. »Ich hab im Internet unter Tefro nachgesehen, aber da steht nur, dass es der aus dem Oskisch-Umbrischen stammende Name einer Schutzgottheit des Herdes in der altitalischen Mythologie sei.«
»So so«, sagte Munárriz abwesend. »War irgendein Begleitschreiben dabei?«
»Nein. Außer diesem Büchlein war nichts darin. Sie können sich vorstellen, dass mir fast das Herz stehengeblieben ist, als ich den Umschlag aus dem Briefkasten geholt und Begoñas Handschrift erkannt habe.« Er spreizte die Hände. »Ich hatte einen Termin mit einem Kunden und konnte mich nicht lange damit aufhalten. Weil ich ohnehin schon zu spät dran war, habe ich den Umschlag in den Sekretär gelegt und das Buch nach meiner Rückkehr am Abend durchgeblättert. Dabei bin ich auf den Schlüssel da gestoßen. Heute morgen habe ich Sie dann angerufen, weil ich annahm, dass die Sache Sie interessieren würde.«
»Unbedingt«, sagte Munárriz dankbar. »Warum aber dieses Buch und nicht irgendein anderes?«
»Ich lese gern Gedichte«, gab Bonastre zurück. »Und von den Autoren der ›Generation 1927‹ ist mir Federico García Lorca der liebste. Ich besitze Erstausgaben seiner sämtlichen Werke.«
»Und es lag wirklich nichts weiter dabei?«, fragte Munárriz noch einmal, »zum Beispiel ein Blatt mit ein paar erklärenden Worten?«
»Nein«, gab Bonastre verärgert zurück. »Ich hab es Seite für Seite durchgesehen und nichts gefunden. Ich frage mich, warum sie mir eine so miese Ausgabe überhaupt geschickt hat.«
»Vorhin haben Sie gesagt, dass García Lorca zu Ihren Lieblingsdichtern gehört.
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