Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
handelte, die ihn ausrauben wollten. Auf diese Weise bewahrte er den ihm vom Vater anvertrauten Schatz, ohne sein Leben dafür in Gefahr bringen zu müssen.
Eine mächtige im 13. Jahrhundert errichtete Mauer umgab die an den Ufern des Orb gelegene Stadt Béziers, wo die Katharer König und Kirche getrotzt hatten. Er nahm Quartier in einem elenden Gasthaus und bemühte sich in der Bauhütte der im Entstehen begriffenen Kathedrale um Arbeit. So kam er zu etwas Geld und konnte seinen Weg nach einer Weile fortsetzen. Er führte ihn zum Mittelmeerhafen Agde am Fuß des Vulkanberges Saint-Loup. Ohne besondere Mühe gelang es ihm, als Ausguck auf einem nach Katalonien bestimmten Schiff mit rund drei Dutzend Mann Besatzung anzuheuern. Seine Aufgabe war es zu melden, wenn Gefahr drohte. Dazu musste er über Strickleitern den Hauptmast bis zum sogenannten Krähennest auf einer kleinen Plattform erklimmen. Auf diese Weise gelangte er schließlich nach Barcelona, von wo er mit einer Maultierkarawane, die Leinwandballen transportierte, seinen Weg nach Tarragona fortsetzte, um das dem Vater gegebene Versprechen zu erfüllen. Zum ersten Mal hatte ein Gaudí den Fuß auf katalanischen Boden gesetzt.
5
A ls Munárriz seine Wohnung betrat, kam es ihm vor, als wäre er monatelang fort gewesen. Alles, was er seit seinem Aufbruch erlebt hatte, wirkte auf einmal so fern. Die steil aufragenden Felswände der Schlucht des Río Lobos, die über seinem Kopf kreisenden Geier, die Wallfahrtskapelle San Bartolomé, das kristallklare Wasser des Ucero, die Blauelstern und Eisvögel im Geäst der Bäume, die stillen Straßen der Altstadt von Soria, die eindrucksvolle Fassade der Kirche Santo Domingo … Der gemächliche und dem Menschen gemäße Rhythmus des Lebens in jener Provinzstadt sagte ihm deutlich mehr zu als die Hektik in Barcelona. Er stellte seinen Koffer ab und rief Mabel in der Redaktion an.
»Ich hätte nicht gedacht, dass du so bald zurückkommst.«
»Ich bin ziemlich früh aufgestanden und saß schon im Auto, als es kaum hell war.«
»Wie war die Fahrt?«
»Ging alles glatt – bis kurz vor Barcelona: Stau, Gehupe, gehetzte Menschen … Ich hätte in Soria bleiben sollen.«
»Das sind nun mal die Nachteile der Weltstadt!«, rief Mabel aus. Es klang spöttisch, doch sie meinte es ernst.
»Ja«, gab er müde zurück. »Wenn wir die Sache hinter uns haben, sollten wir unbedingt ein paar Tage nach Elanchove fahren, ausspannen und zur Ruhe kommen. Wir machen Spaziergänge und genießen die Meeresluft …«
»Abgemacht«, erklärte sie und fragte gleich darauf: »Hast du was rausgekriegt?«
»Sogar eine ganze Menge. Allerdings hilft mir im Augenblick nichts davon weiter.«
»Erzähl mir heute Abend davon.«
»Mach ich. Womit beschäftigst du dich gerade?«
»Nach wie vor mit namenlosen Toten«, gab sie so unbefangen zurück, als ginge es um einen Kochkurs.
»Keine angenehme Sache.«
»Immerhin sind über fünfzehntausend Menschen einfach so verschwunden, da darf man sich nicht wundern, wenn gar nicht so wenige von denen als unbekannte Leichen wieder auftauchen.«
»Ja. Die meisten dürften illegale Einwanderer sein, die ihre Papiere vernichtet haben, damit man sie nicht in ihre Heimat zurückschicken kann, falls man sie erwischt. Wenn einer von denen stirbt, gibt es keine Möglichkeit, seine Herkunft oder seine Verwandten zu ermitteln …«
»Ich muss noch einen Artikel für die Sonntagsausgabe schreiben«, fiel ihm Mabel ins Wort.
»Wenn du willst, kann ich mich mit den für diese Fälle zuständigen Stellen in Verbindung setzen.«
»Danke, aber im Augenblick komm ich auch so zurecht. Im Mittelpunkt meines Berichts stehen die menschlichen Tragödien hinter diesen Schicksalen, nicht die Arbeit der Polizei. Die meisten sind Ausländer, wie du schon gesagt hast. Ohne Papiere tot aufgefundene Inländer werden im Laufe der Zeit über ihren genetischen Fingerabdruck identifiziert, die Analyse ihrer DNA.«
»Wie du willst. Aber melde dich, wenn du Hilfe brauchst.«
»Ich werd daran denken.«
»Dann bis heute Abend. Küsschen …«
»Augenblick noch …«, rief Mabel, damit er nicht gleich auflegte. »Fast hätte ich es vergessen. Francisco Bonastre wollte mit dir sprechen.«
»Worüber?«
»Keine Ahnung. Er hat angerufen, und als ich ihm gesagt habe, dass du nicht da bist, hat er mir eine Telefonnummer hinterlassen. Ich sag sie dir …«
»… neun … acht … eins …«, murmelte Munárriz, während er die
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