Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
lautlos schob er die Türriegel zurück, hängte die Sicherheitskette ein und öffnete ganz langsam. Der militärisch gekleidete Mann schob seinen Mund dicht an den Spalt und öffnete ihn, als wollte ihm ein Arzt tief in die Kehle blicken, streckte die Zunge heraus und hob sie, so dass die Unterseite sichtbar wurde. Dort war ein kleiner Hundekopf eintätowiert, auf dem ein Hahn thronte.
Sein »Kurier«. Es konnte keinen Zweifel geben. Er folgte dem Beispiel des anderen, näherte gleichfalls den Mund dem Türspalt und öffnete ihn, als wollte er ausgiebig gähnen, wobei er ihm seine Tätowierung zeigte.
»Ich bin Dagón, mach auf«, sagte der Gestiefelte auf Esperanto.
Daraufhin löste er die Kette und ließ ihn eintreten. Bevor er die Tür wieder schloss, sah er sich angespannt im Treppenhaus um, ob jemand die Szene beobachtet hatte. Dann führte er den anderen ins Zimmer und stellte sich vor: »Ich heiße Benayá. Ich hab dich erwartet.«
»Ich bin seit einer Woche in Barcelona«, teilte ihm Dagón mit, »und wollte erst mal sehen, ob alles nach Plan verläuft, bevor ich dich rausbringe. Wir dürfen kein Risiko eingehen.«
»Ich hab meine Befehle genauestens befolgt«, knurrte Benayá verärgert. »Alles ist auftragsgemäß abgelaufen. Ist was Unvorhergesehenes passiert?«
»Aber nein«, gab der Kurier zurück. »Ich hab jeden Tag die Zeitungsmeldungen verfolgt: Der Fall ist mit drei Zeilen abgehandelt worden und erledigt. Deshalb können wir die Sache jetzt zu Ende bringen.«
»Wann geht es los?«, erkundigte sich Benayá ungeduldig.
»Wenn alles gut geht, heute Nacht. Jetzt ist es zwei Uhr.«
»Ich bin gleich soweit.«
Dagón sah, wie Benayá seine wenigen Habseligkeiten in eine graue Segeltuchtasche zu packen begann: ein Stück Seife, ein Handtuch, einen Klingenrasierer, schmutzige Unterwäsche, eine Bibel und einen Rosenkranz – das war schon fast alles. In der Tasche befanden sich bereits eine Gasmaske und die leere Kartusche des Betäubungsgases, das er in den Baucontainer geleitet hatte, bevor er selbst hineingegangen war. Mit einem Ruck zog er den Reißverschluss zu.
Er war bereit. Spuren brauchte er nicht zu verwischen, denn es gab keine. Was an Essensvorräten noch da war, würde man später abholen, ebenso wie den riesigen Müllsack mit leeren Konservendosen, Nudelpackungen, Milch- und Safttüten, fettigem Papier und Speiseresten, die teilweise schon in Gärung übergegangen waren und streng rochen.
»Willst du was essen?«
»Nein, danke.«
Es war wohl der Geruch, der Dagón den Appetit nahm. Benayá öffnete ein Paket Frühstücksflocken, steckte sich eine Handvoll in den Mund und kaute bedächtig. Endlich würde er seinen Unterschlupf verlassen können.
Munárriz betrat im Viertel Ciudad Meridiana ein Gebäude, an dessen offenbar lange vernachlässigte Außenmauern Obszönitäten gesprüht worden waren. Manche Briefkästen im Hausflur waren aufgebrochen, andere quollen von Werbung über, die niemand herausnahm. Der Aufzug war seit Jahren nicht repariert worden, weil keiner der Hausbewohner Gemeindeabgaben zahlte, und aus allen Richtungen dröhnten Musikanlagen in voller Lautstärke: Flamenco, Rumbaklänge … Auf dem Treppenabsatz im zweiten Stock stritten zwei verdächtig aussehende Zigeuner lautstark in ihrer Sprache miteinander. Bei seinem Anblick verstummten sie, als fürchteten sie, er könne verstehen, was sie sagten, und warfen ihm herausfordernde Blicke zu.
Er setzte seinen Weg fort, ohne auf sie zu achten. Vermutlich hielten sie ihn für einen Angehörigen der besseren Stände, der sich seine tägliche Ration Kokain abholen wollte. Zwei Drogensüchtige kamen ihm entgegen, die ihm breit grinsend ihre Koksbriefchen präsentierten. Sie gingen wie Zombies mit leerem Blick, hielten sich gegenseitig an den Schultern und schwankten bei jedem Schritt.
Im dritten Stock roch es nach Urin. Im Gang fehlten Bodenfliesen, und die Türen, deren Füllungen zersplittert waren, hatten keine Schlösser. Munárriz zog seine SW-99, öffnete eine mit Draht an den Angeln befestigte Tür, indem er dagegentrat, und überraschte zwei Burschen an einem Tisch, auf dem neben einer kleinen Präzisionswaage, einem Päckchen Drogen und einem Bündel Geldscheine ein Arminius Windicator vom Kaliber.38 lag.
»Keine falsche Bewegung!«, rief Munárriz. »Aufstehen, los! Hoch den Hintern, sag ich!«
Die Zigeuner gehorchten. Ohne aufzubegehren standen sie auf, traten vom Tisch beiseite und stellten sich mit
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