Sagrada: Mystery-Thriller (German Edition)
zittern und hinderte ihn daran einzuschlafen. Dann betete er den Rosenkranz, flüsterte ein um das andere Mal die fünfzehn Geheimnisse der heiligen Jungfrau Maria und das Leben unseres Herrn Jesus Christus vor sich hin und kniete, in Ermangelung einer Geißel, mit der er sein Fleisch kasteien konnte, mit überkreuzten Armen so lange am Boden, bis ihm das Blut in den Adern stockte, seine Gelenke taub wurden und ihn ein stechender Schmerz in der Brust am Atmen hinderte. Diese selbstauferlegte Züchtigung, die Begierde und Leidenschaften im Zaum hielt, wirkte auf ihn belebend und wohltuend.
Er wusste nicht, wie lange er dort noch ohne jegliche Verbindung zur Außenwelt würde ausharren müssen. Weil die Bodendielen nicht fest saßen, musste er bei jedem Schritt, den er tat, Acht geben, wohin er die Füße setzte, um nicht zu stolpern und Lärm zu machen. Auch sonstige verdächtige Geräusche musste er um jeden Preis vermeiden. Niemand durfte etwas von seiner Anwesenheit in dem Raum mit den feuchten Wänden wissen, in dem der Strom abgestellt war und das Leitungswasser aus einem Tank auf dem Dach kam, mit kaum genug Druck für die Wasserspülung.
Er sehnte sich nach frischer Luft, durfte aber weder Fenster noch Tür öffnen, denn das könnte ihn verraten. Er lebte von der Außenwelt vollständig isoliert, ohne Zeitungen, Rundfunk oder Fernsehen. Nicht einmal ein Kalender war im Zimmer, so dass er nicht einmal wusste, welcher Wochentag es war. Ein gewisses Maß an Bewegungsfreiheit hatte er lediglich, wenn die Bewohner des Stockwerks unter ihm, ein pakistanisches Paar, wie er durch den Fensterspalt gesehen hatte, das Haus verließen, vermutlich, um in irgendeinem Ausbeuterbetrieb schwarzzuarbeiten. Dann erhob er sich von der auf dem bloßen Fußboden liegenden Luftmatratze, die ihm als Bett diente, und verrichtete seine Notdurft. Er wusch sich Hände und Gesicht, und während er sich mit einem nassen Handtuch von Kopf bis Fuß säuberte, sehnte er sich nach dem Kloster zurück, wo man heiß baden konnte. Dann zog er sich an, machte einige Gymnastikübungen, um den Kreislauf in Schwung zu bringen und die Muskeln nicht erschlaffen zu lassen, ging im Raum umher, barfuß, damit man seine Schritte nicht hörte, lief durch den langen Gang, der zu einer mit Blech beschlagenen verriegelten Tür führte, und kehrte dann in das Zimmer zurück, wo er mehrere Male den Tisch und den davorstehenden Korbsessel umrundete. Zum Frühstück trank er eine Schale Milch, in der er ein wenig Pulverkaffee aufgelöst hatte, und aß eine Handvoll süße Kekse. Dann setzte er sich auf den Boden oder legte sich, zum Schutz vor der Kälte in eine Wolldecke gehüllt, auf die Luftmatratze, in der Hoffnung, jemand werde kommen. So ging es Minute um Minute, Stunde um Stunde, Tag um Tag, ohne dass er wusste, wann man ihn erlösen würde.
Während er kniend ein Ave Maria murmelte, hörte er etwas. Jemand kam die Treppe herauf. Auch wenn das in einem Haus ohne Aufzug nichts Besonderes war, lauschte er aufmerksam, wie immer, wenn jemand kam oder ging. Er horchte in völliger Stille. Als er merkte, dass die Schritte vor seiner Tür aufhörten, steigerte sich seine Aufmerksamkeit. Er hielt den Atem an und konzentrierte sich, um auch das leiseste Geräusch wahrzunehmen. Vielleicht war es nur eine alte Frau, die ermattet ihren Einkaufskorb abgestellt hatte, um zu verschnaufen, bevor sie ihren Weg nach oben fortsetzte. Er erhob sich und ging lautlos auf bloßen Füßen durch den Gang bis unmittelbar vor die Tür. Dort legte er sich hin und sah durch den Spalt am Boden ein Paar Springerstiefel. Er stand auf und stellte sich mit dem Rücken zur Wand. Sein Puls ging rascher. Seine Hände begannen zu schwitzen. Er hörte, wie rhythmisch an die Tür geklopft wurde. Reglos wartete er, bis sich das Klopfen wiederholte. Es waren Morsezeichen: vier Mal kurz, kurz-kurz-lang, lang-kurz, lang-kurz-kurz und zum Schluss drei Mal lang. Das ergab hundo , Esperanto für »Hund«.
Sein »Kurier« war gekommen, um ihn aus dem Land zu schaffen. Erleichtert atmete er auf, und sein Puls beruhigte sich. Aber er musste ganz sicher sein und würde erst öffnen, wenn er das zweite Kennwort koko , »Hahn«, gehört hatte. Daher wartete er, bis eine weitere Abfolge von Morsezeichen geklopft wurde. Es war das erwartete koko . Daraufhin trat er an die Tür. Durch den Spion sah er einen Mann mit einer militärisch wirkenden Tarnjacke, einer Khakihose und schwarzen Springerstiefeln. Nahezu
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