Sag's Nicht Weiter, Liebling
mein Horoskop in iVillage lesen, Connors Horoskop lesen, ein paarmal in geschwungenen Buchstaben »Emma Corrigan, Managing Director« auf meinen Notizblock schreiben, eine Blumenborte drumherum malen, Connor eine E-Mail schicken, ein paar Minuten warten, ob er antwortet, einen Schluck Mineralwasser trinken, und dann schließlich irgendwann für Artemis den Tesco-Prospekt suchen.
Wohl kaum.
Als ich mich wieder an den Schreibtisch setze, arbeitet mein Gehirn auf Hochtouren. Sie müssen sich Ihre Chancen selbst schaffen. Sie müssen für sich Gelegenheiten herausarbeiten. Hat Paul gesagt.
Na, wenn das hier nicht eine Gelegenheit ist.
Jack Harper höchstpersönlich beobachtet mich bei der Arbeit. Der große Jack Harper. Der Chef des ganzen Unternehmens. Ich werde ihn ja wohl irgendwie beeindrucken können.
Nun ja, vielleicht habe ich nicht den allerbesten Anfang dafür gewählt. Aber jetzt habe ich ja die Gelegenheit, mich zu rehabilitieren! Wenn ich ihm nur irgendwie zeigen kann, wie klug und motiviert ich bin …
Ich blättere durch das Promotionmaterial und merke plötzlich, dass ich viel gerader sitze als sonst, als wäre ich hier in der Rückenschule. Ein Blick durch das Büro zeigt, dass alle anderen ebenfalls in der Rückenschule sitzen. Bevor Jack Harper ankam, hat Artemis mit ihrer Mutter telefoniert, aber jetzt hat sie ihre Hornbrille aufgesetzt und tippt wie wild, dabei macht sie gelegentlich Pausen und grinst das, was sie getippt hat, mit
einem Was-bin-ich-doch-für-ein-Genie-Lächeln an. Nick hat vorher den Sportteil des Telegraph gelesen, aber jetzt brütet er über irgendwelchen Akten mit Kurvendiagrammen drin und runzelt angestrengt die Stirn.
»Emma«, sagt Artemis falsch freundlich. »Hast du den Prospekt gefunden, um den ich dich gebeten hatte? Es ist zwar nicht so eilig …«
»Ja, habe ich!«, sage ich. Ich schiebe den Stuhl zurück, stehe auf und gehe zu ihrem Tisch hinüber. Ich versuche, so natürlich wie möglich zu wirken. Aber du lieber Himmel, das ist wie im Fernsehen oder so. Meine Beine tun nicht, was sie sollen, und mir klebt ein Lächeln im Gesicht, und ich habe die grauenhafte Vorstellung, dass ich plötzlich »Unterhose!« oder so etwas schreien muss.
»Bitte, Artemis«, sage ich und lege den Prospekt vorsichtig auf ihren Tisch.
»Herzlichen Dank«, sagt Artemis. Ich begegne ihrem strahlenden Blick und stelle fest, dass sie auch schauspielert. Sie legt ihre Hand auf meine und lächelt mich blitzend an. »Was täten wir bloß ohne dich, Emma!«
»Das mache ich doch gerne!«, behaupte ich im gleichen Tonfall. »Jederzeit!«
Scheiße, denke ich auf dem Rückweg zu meinem Schreibtisch. Ich hätte etwas Schlaueres sagen sollen. Zum Beispiel »Das ganze Unternehmen lebt doch von der Zusammenarbeit.«
Okay, egal. Ich kann ihn ja immer noch beeindrucken.
In dem Versuch, mich so normal wie möglich zu verhalten, öffne ich eine Datei und tippe mit kerzengeradem Rücken so schnell und effektiv ich kann. So still habe ich das Büro noch nie erlebt. Alle klappern vor sich hin, niemand spricht. Wie in einer Prüfung. Mein Fuß juckt, aber ich traue mich nicht, mich zu kratzen. Ich bin jetzt schon völlig fertig, dabei sind erst fünf Minuten rum.
»Ganz schön ruhig hier«, sagt Jack Harper mit erstauntem Unterton. »Sind Sie immer so still?«
»Ähm …« Wir sehen uns alle unsicher an.
»Kümmern Sie sich einfach nicht um mich. Unterhalten Sie sich, wie immer. Sie müssen doch bei der Arbeit über irgendwas sprechen.« Er lächelt freundlich. »Als ich noch im Großraumbüro gearbeitet habe, haben wir über alles Mögliche geredet. Politik, Bücher … Was haben Sie denn in letzter Zeit so gelesen?«
»Ich lese gerade die neue Biographie von Mao Tse-tung«, sagt Artemis sofort. »Sehr beeindruckend.«
»Ich stecke mitten in der Geschichte Europas im vierzehnten Jahrhundert«, sagt Nick.
»Und ich lese mal wieder Proust«, sagt Caroline mit bescheidenem Achselzucken. »Im französischen Original.«
»Aha.« Jack Harper nickt mit undurchdringlichem Gesicht. »Und … Emma, so heißen Sie doch? Was lesen Sie gerade?«
»Äh, also …« Ich schlucke, um Zeit zu gewinnen.
Ich kann ja nicht gut sagen Kritzeleien von Prominenten - Was sagen sie aus? Obwohl das wirklich ein gutes Buch ist. Schnell. Irgendeinen Klassiker.
»Hast du nicht Große Erwartungen gelesen, Emma?«, sagt Artemis. »Mit deinem Lesekreis.«
»Ja!«, sage ich erleichtert. »Ja, genau …«
Und dann breche ich
Weitere Kostenlose Bücher