Sahnehäubchen: Roman
ihrer Mitmenschen hat sie meistens keine besonders sensiblen Antennen – aber wenn es wirklich darauf ankommt, kann man sich immer auf sie verlassen. »Ich hoffe, wir bekommen ihn wieder aufgerichtet. Und dann müssen wir ihn dringend von dem Projekt abziehen. Das geht ja gar nicht! Es ist, denke ich, für alle Beteiligten besser, wenn er ab sofort Henning zuarbeitet. Klar, natürlich habe ich ihn ursprünglich nur wegen seines Alten eingestellt, aber ich finde, er hat sich sehr gut gemacht, oder?«
»Ja, das hat er wirklich. Mann, das ist mir alles so unangenehm.«
Susanne seufzt. »Ich hoffe natürlich, dass damit nicht gerade das ganze Projekt baden gegangen ist. Wäre echt zu ärgerlich.« Damit hat sie natürlich recht, aber wenn ich ehrlich bin, hat meine Motivation, mich für den alten Weidner so richtig ins Zeug zu legen, gerade einen empfindlichen Dämpfer erhalten.
»Ich gehe mal zu Tom rüber. Vielleicht hat er Lust, mit mir essen zu gehen.« Tatsächlich hängt mir der Magen schon in den Kniekehlen. Zu den Leuten, denen schlechte Stimmung den Appetit verdirbt, habe ich noch nie gehört.
Im Volontärszimmer gibt es allerdings keine Spur von Tom, in meinem Büro auch nicht. Ich gehe rüber zum Empfang; vielleicht hat er eine Nachricht bei Frau Smit hinterlassen.
»Haben Sie Tom gesehen, Frau Smit?«
Unsere Empfangsdame schaut mich betreten an, greift in ihre Schreibtischschublade und holt etwas hervor, was verdächtig nach einer Magnetkarte für unsere Eingangstür aussieht. Dann fördert sie noch einen verschlossenen Briefumschlag zutage.
»Hier, das hat Herr Weidner vor einer halben Stunde bei mir abgegeben. Dann ist er gegangen.«
Ich bin wie vor den Kopf geschlagen. »Hat er noch etwas gesagt?«, frage ich erschrocken.
»Nein, leider nicht.« Sie schüttelt den Kopf. »Er schien mir allerdings auch relativ … aufgewühlt. Ja, aufgewühlt beschreibt es am besten.«
Ich nehme den Brief und öffne ihn. Der Text ist denkbar kurz.
Sehr geehrte Frau Becelius,
hiermit mache ich von meinem Sonderkündigungsrecht in der Probezeit Gebrauch und kündige zum Ende dieser Woche.
Mit freundlichen Grüßen
Thomas Weidner
Ich starre auf den Brief und mag es nicht glauben. Keine Erklärung, keine bedauernden Worte, gar nichts? Das trifft mich. Ich verstehe zwar, dass er geknickt und sauer ist, aber deswegen hier gleich alles hinzuschmeißen? Ob er in Wirklichkeit nur einen Grund gesucht hat, um zu gehen? Aber warum? Bis heute Morgen schien er sehr zufrieden.
Ich stecke sein Schreiben ein und gehe zu Susanne zurück. »Hier, lies mal.« Ich reiche ihr den Brief. »Tom hat gekündigt. Und zwar zu sofort.«
»Bitte? Das ist nun doch überraschend.« Susanne nimmt das Blatt und liest es sich durch. »Hmmm … Und auch ein bisschen kindisch. Kannst du das bitte mit ihm klären?«
»Ja, ich werde auf alle Fälle noch mal mit ihm sprechen. Ich meine, das war heute echt nicht schön für ihn, aber gleich zu kündigen finde ich schwer übertrieben. Ich rufe ihn mal an.«
Tom hat sein Handy ausgeschaltet – ich erwische nur die Mailbox. Und zwar sowohl bevor ich mir eine Pizza hole als auch nachdem ich sie gegessen habe. Offensichtlich will er mit niemandem sprechen. Ich überlege kurz, ob ich nach Feierabend zu ihm fahren soll, verwerfe den Gedanken aber wieder. Zum einen weiß ich gar nicht, wo er wohnt, und obwohl ich mir seine Adresse natürlich aus der Personalakte fischen könnte, will ich eigentlich nicht uneingeladen bei ihm aufkreuzen. Also vertraue ich darauf, dass er sich noch einmal von selbst melden wird, wenn er sich wieder beruhigt hat. Dann kann ich immer noch in Ruhe mit ihm sprechen.
21. Kapitel
D ie Gelegenheit zu einem Gespräch ergibt sich wesentlich früher als erwartet. Die Ereignisse haben mich so gebeutelt, dass ich schon um vier Uhr Feierabend mache und nach Hause fahre. Dort sitzt, im Flur direkt vor meiner Wohnungstür: Tom. Im Schneidersitz, die Augen halb geschlossen, sieht es fast so aus, als würde er meditieren.
»Hallo Tom!«, begrüße ich ihn. »Was machst du denn hier?«
Er schreckt hoch. »Hallo Nina! Ich hatte noch gar nicht mit dir gerechnet.«
»Wie lange sitzt du denn schon da?«
Er zuckt mit den Schultern. »Weiß nicht. Vielleicht eine Stunde.«
»Du sitzt seit einer Stunde vor meiner Tür und dachtest, ich komme wahrscheinlich viel später? Das klingt ein bisschen verrückt, oder?«
Er nickt. »Ist es wahrscheinlich auch. Aber als ich in der Agentur
Weitere Kostenlose Bücher