Sahnehäubchen: Roman
bügelt.«
»Soll das ein Kompliment sein?«, frage ich erstaunt.
»Das kannst du jetzt sehen, wie du willst.« Tom trinkt sein Glas aus und stellt es auf den Couchtisch. »Sag mal, ich würde gerne noch etwas Richtiges trinken gehen. Kommst du mit?«
Einen Augenblick überlege ich. Eigentlich ist mir viel mehr nach einem Abend auf dem Sofa, aber ich will Tom auch nicht alleine lassen. »Ja, warum nicht? Allerdings würde ich auch gerne etwas essen, denn das einzig Warme, das ich heute zu mir genommen habe, war eine halbe Pizza Tonno, die eher scheußlich schmeckte.«
»Gut. Unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?«
»Da ich nicht ausschließen kann, dass ich dich im Laufe des Abends noch mit weiteren traurigen Familiengeschichten behelligen werde, zahle ich. Quasi als Therapeutenhonorar.«
Ich lächle ihn an. »Einverstanden, Herr Weidner. Dann wählen Sie aber auch das Restaurant. Und Vorsicht – ich bin anspruchsvoll!«
»Ja, ja. Verstehe.« Er lacht, und zumindest ein Teil der Anspannung scheint auf einmal von seinen Schultern zu fallen. »Pizza Tonno, ja? Keine Sorge, da komme ich locker drüber.«
Wir landen schließlich im Freischwimmer, einem Laden, den man mit entspannt szenig wohl am besten beschreibt. Er ist nicht weit von meiner Wohnung entfernt und war früher wahrscheinlich ein typisches Eimsbüttler Ecklokal; jedenfalls gibt es im Keller sogar noch eine Kegelbahn. Wir ergattern einen freien Tisch im hinteren Gastraum, was ohne Reservierung an einem Freitagabend einem Sechser im Lotto ziemlich nahekommt. Ich werfe einen Blick auf die Karte: lecker! Tom hat genau das richtige Restaurant für mich ausgesucht.
Als der Kellner kommt, habe ich mich schon entschieden. Formvollendet lässt Tom mich aber nicht selbst bestellen, sondern übernimmt es gleich für uns beide. Zu meiner Überraschung trifft er meinen Geschmack perfekt. »Woher wusstest du, dass ich das Backhendl bestellen wollte?«
Er grinst mich an. »Glaub mir, wenn man so viel Zeit mit dir verbringt, wie ich es in den letzten Wochen getan habe, bekommt man ein gutes Gespür dafür, was Madame gefällt und was nicht.«
»Na, solange Monsieur eine so sensible Antenne für meine Wünsche hat, werde ich mich nicht beschweren.«
Als der Wein kommt und wir uns entspannt zuprosten, starte ich noch einmal einen Überredungsversuch. »Mensch, Tom, willst du dir das mit der Kündigung denn nicht überlegen?«
»Ach, Nina, ich weiß nicht.« Tom seufzt. »Ich glaube aber eher nicht.« Er nippt nachdenklich an seinem Rotwein. »Diese ganze Vater-Sohn-Geschichte hängt mir so was von zum Hals raus. Das verfolgt mich seit Jahren. Weißt du was? Lass uns einfach das Thema wechseln, sonst werde ich noch trübsinniger. Wir tun jetzt einfach so, als hätten wir ein ganz normales Date.«
Ein … ein bitte was?
Ein Date?
Wahrscheinlich sollte ich ihm jetzt schonend beibringen, dass ich doch eigentlich nur aus Mitleid mitgegangen bin. Und doch ist der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf spukt, ein entschiedenes: Wie aufregend! Und das ändert sich auch erst einmal nicht. Das Essen ist einfach köstlich, der Wein wunderbar, und noch dazu unterhält mich Tom mit lustigen Geschichten aus seiner wilden Studentenzeit. Ich lasse mich sogar noch zu einem Dessert überreden. Und weil’s so nett ist, müssen wir danach natürlich noch einen Espresso bestellen. Und einen Grappa, schon allein, um die Verdauung anzukurbeln. Und danach einen weiteren, weil man bekanntlich auch nicht so gut auf einem Bein stehen kann. Obwohl ich mir im Moment überhaupt nicht vorstellen kann, aufzustehen – ich fühle mich wie ein gestrandeter Walfisch, der noch dazu leicht angetüddelt ist und darauf wartet, dass ein Greenpeace-Aktivist ihn wieder ins Wasser zieht.
Nachdem Tom schließlich, ganz Gentleman, die volle Rechnung beglichen hat, strahlt er mich an. »Na, noch Lust auf einen kleinen Spaziergang – damit die Crème brûlée nicht direkt auf die Hüften geht und der Kopf ein bisschen durchgelüftet wird?«
Kann der Kerl Gedanken lesen?
»Gute Idee. Lass uns doch an die Elbe runter. Da können wir ein bisschen Schiffe gucken.«
Mit der U3 fahren wir vom Schlump bis zu den Landungsbrücken. Gemächlich und schweigend wandern wir über die Pontons, schauen auf den dunklen Fluss und bewundern die atemberaubende Sicht auf den glitzernden Hafen, in dem natürlich auch jetzt, mitten in der Nacht, noch gearbeitet wird. Irgendwie ganz schön romantisch –
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