Saigon - Berlin Thriller
nächsten Flieger nach Hongkong nehmt. Sonst ...« Er griff sich ein neues Handtuch. »Sonst kommt ihr hier ein paar Operationen in die Quere, die eurer Gesundheit nicht sonderlich zuträglich sind. Raus jetzt. Oder soll ich dir jetzt auch noch die Schnauze einschlagen?«
Dazu hatte ich keine Lust. Er war mir kampftechnisch überlegen und würde mir sehr schnell das Genick brechen.
»Na schön. Ich weiche der Gewalt und fliege nach Hongkong. Aber damit ist die Liste der Vietcong nicht ausgelöscht, die ausweist, wessen Leben in Gefahr ist.«
Ich schlug die Tür hinter mir zu und suchte den Ausgang. Mir war jetzt wirklich nur noch nach einem riesengroßen Whiskey.
»Welche Liste? Wo ist die?«, brüllte Ali hinter mir her.
Ich blieb stehen. Er hatte immer noch ein Handtuch vor dem Mund.
»Die ist im Kopf des Mönches. Er hat mir davon erzählt, bevor du ihn hast umbringen lassen. Und die geht jetzt mit mir auf die Reise.«
Ali fluchte etwas, das sich wie eine Drohung anhörte.
»Gib dir keine Mühe, an die Liste in meinem Kopf zu kommen. Die ist schon längst im Verlag.«
Lüge, alles Lüge, tobte es in mir. Du kannst Ali nicht für blöd verkaufen. Der weiß doch, dass du inzwischen keinen Zugang zu irgendwelchen Kommunikationsmitteln gehabt haben kannst.
Halt deine Klappe, beruhigte ich mich. Das weiß ich. Aber nicht er.
Bist du dir da sicher?
Nein. Das war ich mir absolut nicht. Raus. Nur noch raus aus diesem undurchschaubaren Irrenhaus, in dem jeder gegen jeden zu kämpfen schien.
Die Messe in der Barackenstadt.
Der Raum maß an die hundert Quadratmeter. Es war heiß und laut. Alle Ränge der US-Truppen drängten sich um Theke und Tische. Die Deckenventilatoren verteilten nur den Mief schneller, als er produziert werden konnte. Jeder der Anwesenden stank. Ein Gestank nach Schweiß und Angst. Die Gespräche drehten sich nur um ein Thema ... wann wer nach Hause kam.
»Das ist doch eine verfluchte Scheiße«, knurrte Micky.
Sie kaute Kaugummi. Hatte ein Zigarillo im Mundwinkel und eine Flasche Whiskey in der Hand.
»Dass Kleiner Drache sofort in ein anständiges Krankenhaus muss und man dich hier loswerden will, das sehe ich noch ein. Aber das Kind, nur weil es noch ohne Namen ist, zu dieser komischen Art von asiatischer Adoption freigeben ... wegen dieser Chu-Familienehre. Nein. Da mache ich nicht mit.«
Sie überlegte einen Moment und suchte in ihrer monströsen Umhängetasche.
»Ich kann es nicht verhindern«, wandte ich ein.
»Doch. Kannst du. Das Kind mit dem süßen Popo fliegt mit. Es gehört zu seiner Mutter ... und zu dir. Feierabend.«
Micky riss ein Blatt aus ihrem umfangreichen Notizbuch.
»Das ist eure Anlaufstelle in Hongkong. Die werden euch weiterhelfen. Und das hier ist deine Lebensversicherung.« Sie blätterte drei Schwarzweißfotos auf den Tisch und stellte zwei schwarze Filmdosen daneben.
»Woher hast du die?«
Micky zuckte mit den Schultern und rauchte ruhig weiter.
»Wurden mir zugespielt, oder wenn du so willst, sie sind mir an den Fingern kleben geblieben.« Sie grinste, als habe sie einen Krieg gewonnen.
Es waren Abzüge der Fotos, die ich während des von Ali geleiteten Massakers mit der Leica gemacht hatte. Meine Privatfotos, die nie in die Presse gelangt waren. Jemand hatte sie vergrößert und dabei Ali besonders herauskopiert. Ali, wie er eine Frau, die ein Kind im Arm hielt, mit einem Knüppel erschlug.
»Und da sind die Negative. Pass gut darauf auf. Ich habe sie von Kleiner Drache. Gibst du mir noch einen aus?« Sie nahm die Dosen wieder an sich, bevor ich die Filme begutachten konnte. »Die gehen über die Rote-Kreuz-Schiene nach Hongkong. Als Proben von Malariakranken. Da kannst du sie dir abholen. An wen du dich zu wenden hast, steht auf dem Zettel.«
»Mr. Stösser? Darf ich Sie bitten mitzukommen?«
Einen Moment war es im Raum ruhig geworden. Ich sah an der Stimme hoch, die mir die Hand auf die Schulter legte. Es war Oliver, der Pilot. Begleitet von zwei Militärpolizisten.
»Was machst du denn noch hier? Ich denke, du fliegst längst Ölbohrinseln an.«
Hauptmann Oliver schüttelte den Kopf. »Können wir gehen, ohne hier Aufsehen zu erregen?«
»Was habt ihr mit Mr. Stösser vor? So geht das nicht!«, protestierte Micky.
Sie erntete nur ein Kopfschütteln und die Antwort, dass sie als Ausgemusterte hier unter aktiven Soldaten der US-Truppen nichts zu suchen habe.
Mir blieb keine Wahl. Ich folgte. Die Stimmen im Raum setzten wieder ein.
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