Saigon - Berlin Thriller
die Nutte von Fjodor ist. Mit dem Russen legst du dich besser nicht an. Ein sehr unangenehmer Mensch. Für ihn ist ein Krieg die richtige Spielwiese. Er ist ein sehr erfolgreicher Fotograf. Er liebt es, zerstückelte Köper zu fotografieren. Und das kommt offensichtlich an. Aber er ist privat genauso gewalttätig wie im Einsatz. Der fotografiert dich noch, wie er dir sein Messer in den Bauch rammt. Gehe ihm einfach aus dem Weg.«
»Ich tue mein Bestes«, knurrte ich.
Überall nur Warnungen und Drohungen. Der Verlag drohte, die Kollegen warnten, als müssten sie ihr Revier verteidigen. Kleiner Drache schien mir auch einiges zu verschweigen. Zum Teufel, so kompliziert hatte ich mir einen Krieg nicht vorgestellt. Vor allem nicht in der sogenannten Etappe. Die schien es hier nicht zu geben. Hier war überall vorne und überall hinten. Und dazwischen die Unabwägbarkeiten, wo der Vietcong plötzlich wieder aus seinen Löchern kam, Unheil anrichtete und wieder verschwand.
Vor dem L'Étoile hatte sich eine Menschentraube gebildet. Zivilisten. Soldaten. Jemand pries hinter dieser Leiberfront auf Vietnamesisch seine Waren an. Kochdampf stieg über die Köpfe der Schaulustigen und fing sich unter der Markise.
Wer etwas ergattert hatte, suchte schnell das Freie und den Rand des Springbrunnens. Hier aßen Männlein und Weiblein den Inhalt mit den Fingern. Die Verpackung war eine zur Spitztüte gedrehte Zeitung, durch die sich das Fett ihren Weg von Blatt zu Blatt in Richtung Erdschwerkraft suchte.
Ali grinste. Fragte einen der essenden Kunden, was das sei. Er sprach Vietnamesisch. Der Mann wurde mir unheimlich.
»Wir sollten auch etwas essen«, sagte Ali, als er zurückkam. »Dein Kampfdrache hat hier heute eine Garküche eröffnet. Habe zwar keine Ahnung, was sie da frittiert. Aber es schmeckt gut.«
»Ihr seid nüchtern? Dann bekommt ihr es umsonst«, verkündete sie strahlend. »Die Geschäfte laufen gut.«
Wir beiden machten wohl ein etwas fassungsloses Gesicht. Diese Geschäftstüchtigkeit sagte man landläufig nur den Chinesen nach.
»Ich mache nur Großer Drache nach, der mir auf dem Markt von Chau Doc gezeigt hat, dass wir alles viel zu billig verkaufen«, fuhr sie Ali über den Mund, der dabei war etwas zu sagen. Er klappte ihn wieder zu. Schüttelte den Kopf. Ich schmunzelte. Wir bekamen jeder zwei Tageszeitungen mit einem dampfenden Inhalt.
»Kannst du mir mal sagen, was das ist?« Es schmeckte wirklich gut. Knackig. Schlange oder Ratte war es nicht. Die waren zäher.
Ali schüttelte den Kopf. »In diesem Land frage ich schon lange nicht mehr, was ich esse. Corned Beef ist es jedenfalls nicht.« Wir kauten weiter.
»Kennst du einen La Troux?«
Ali hielt inne. Überlegte. Kaute weiter. Nickte. »Willst du mir das Essen versauen? Also frag mich das später. Ja, ich kenne ihn - leider. Aber erst nach ein paar Whiskey. Der ist nüchtern nicht zu ertragen.«
»Was war in deinem Essen? Was war die Nachspeise?«
Kleiner Drache lag auf mir wie ein auf einem Flugzeugträger notgelandetes Flugzeug. Sie streichelte mich. Tastete meine Weichteile ab.
»Die Nachspeise war passiertes Krabbenfleisch in Mango«, murmelte sie und streichelte weiter.
»Und das Essen in der Zeitung?« Es wurde Zeit, dass ich das erfuhr, bevor sie mich verrückt machte.
»Seetang«, küsste sie mich in der Bauchgegend. »Heuschrecken.« Ihre Lippen wanderten tiefer. »Kakerlaken«. Sie drang tiefer vor. »Küchenschaben«. Sie hatte bald den Punkt erreicht, der mich willenlos machte. »Würmer. Viele Würmer aus den Reisfeldern. Sie steigern die Potenz.« Dann war es mit mir vorbei.
FÜNFTES KAPITEL
O STBERLIN , 28. D EZEMBER 1989
Meine Träume verhakten sich ineinander. Wurden wirr. Versuchten sich zu entknoten. Es gelang ihnen nicht. Jemand schüttelte mich wie einen Pflaumenbaum.
»Werd mal langsam wach. Sonst wird das Badewasser kalt. Dann gibt es Frühstück.«
Ewald öffnete das Fenster. Eiskalte Luft strömte herein.
»Hier stinkt es wie in einer Opiumhöhle. Hast du das Zeug etwa geraucht?«
Hatte ich? Ich konnte mich nicht daran erinnern. Die Pfeife roch noch frisch. Dann hatte ich. Mein trockener Hals schrie nach Flüssigkeit.
Der Wecker zeigte kurz nach acht Uhr. Es schneite schon wieder. Ich schloss das Fenster und machte mich mit meiner Reisetasche barfuß auf den Weg, um ein Bad zu nehmen. Es stank wirklich alles nach Opium. Mein Kopf wollte nicht klar werden. Eine tonnenschwere Spinne hatte sich in all
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