Saigon - Berlin Thriller
trinken, bevor du dir den Dreck abkratzt?«
Ali fing mich in der Lobby ab. Er lächelte süffisant. Oder kam es mir nur so vor? Meine müden Augen begannen langsam falsche Signale ans Gehirn zu senden.
»Nein, danke. Ich muss erst schlafen. Mir reicht es«, wehrte ich ab. »Aber was machst du denn schon hier? Was sollte der ganze Scheiß überhaupt?« Ich drehte mich auf der Treppe um.
Ali lächelte jetzt wirklich.
»Ich wusste, dass du das fragst. Komm. Wir haben zu reden. Dein Kleiner Drache wird schon informiert, dass du da bist.« Er hakte sich ungeachtet meines sehr strengen Geruches bei mir unter und zog mich in den Garten. Hier wartete die nächste Überraschung.
»Bon soir, Monsieur Stösser. Sie haben gute Arbeit geleistet, wie mir Colonel Sharif mitteilt. Dürfte ich die Filme haben?«
Dieser Mann hatte seine Visitenkarte hinterlassen. Ali hatte sich aufgeregt, dass er einen großen Auftrag verloren haben könnte, da ich mich als des Französischen mächtig gezeigt hatte. Eugene Guibaud. Directeur. Paris. Im flackernden Kerzenlicht war er nicht einzuschätzen. Den Panamahut hatte er tief ins Gesicht gezogen. Eine Zigarre kokelte in seinem linken Mundwinkel. Er war ein Schleimer. Mein Instinkt warnte mich.
»Aber entschuldigen Sie. Ich bin unhöflich. Sie kommen gerade aus dem Einsatz. Dem Einsatz Ihres Lebens. Nehmen Sie doch erst einmal Platz. Sie sind mein Gast.«
Kleiner Drache war wirklich informiert worden. Sie quiekte aus dem Fenster. »Bin sofort bei dir.«
Guibaud lächelte. Ali stierte abwechselnd in die Palmwedel oder versuchte mit einem Taschenmesser seine Fingernägel zu säubern. Lange konnte auch er noch nicht hier sein.
»Warum sollte ich Ihnen die Filme geben? Der Einsatz beweist doch nur, dass es Völkermord und ein völlig sinnloser Einsatz war.«
Guibaud rief den Ober und bestellte für vier Personen.
»Nicht so ganz, Monsieur Stösser. Der Einsatz hatte schon seinen Sinn. Und dass wir ausgerechnet Sie als einzigen Fotografen mitgenommen haben, auch. Also, darf ich um die Filme bitten?«
Was hatte Micky gewusst, dass sie darauf bestanden hatte, dass Sergeant Patrik von der Luftbildabteilung sofort Abzüge und Kopien der Negative für mich machen musste? Hier lief ein taktisches Spiel, das sich mir verschloss. Ich war nur der Bauer im Vorfeld eines Schachspiels. Wem half es, diesen Massenmord an Zivilisten zu vermarkten? Jeder vernünftige Mensch würde dieses Massaker vertuschen. Ein Irrtum, liebe Leser. Da ist bei uns etwas schiefgelaufen. Vergesst es möglichst schnell wieder. Wir sind nach wie vor die Guten, die euch vor den bösen Kommunisten schützen. Bitte, bitte lieber US-Senat, wir bräuchten da noch ein paar hundert Millionen für neue Munition. Sonst ist der amerikanische Staat in Gefahr, von ein paar Reisbauern überrannt zu werden.
»Wer sind Sie?«
Ali verbarg sein Gesicht kurzfristig hinter einer Serviette. Er wischte sich den Schweiß ab.
Kleiner Drache fiel mir um den Hals und rümpfte die Nase. »Oje. Ich glaube, ich muss das Bad freikämpfen. Bin gleich zurück.« Weg war sie.
Der Ober brachte eine Platte mit Köstlichkeiten. Von Tintenfisch bis zu Krebsschwänzen war alles dabei. Auf dampfendem, mit Seetang belegtem Reis.
»Wer ich bin?« Guibaud aß mit den Fingern. Ali versuchte es mit Stäbchen. Gab es aber sofort auf. Reiskörner mit Stäbchen zu essen, war schon die höchste Kunst. Ich bevorzugte Fingerfood.
»Ich bin für den asiatischen Bereich des GCMA, von den Amerikanern auch MACG genannt, zuständig. Kurz, den französischen Geheimdienst. Wir haben uns auf den Guerillakrieg spezialisiert und beraten die Amerikaner und die Südvietnamesen in entsprechender Form. Das muss genügen. Bedienen Sie sich.«
»Und ich arbeite für einen deutschen Verlag. Warum sollte ich Ihnen die Filme geben?«, stellte ich mich störrisch. Diese verdammte Herrenrasse machte mich wütend. Ich berichtete. Das war schwer genug. Aber benutzen lassen, wollte ich mich nicht.
Ali futterte. Inzwischen mit der Handfläche als Teller.
»Deswegen.« Guibaud schob mir einen Umschlag über den Tisch. Der Inhalt waren Reiseschecks im Wert von fünftausend Dollar. Die brauchte ich nur zu signieren, und niemand außer mir könnte mehr etwas mit ihnen anfangen. Das war besser als Bargeld. Damit konnte noch nicht einmal mein Taschendieb Kleiner Drache etwas anfangen. Fünftausend Dollar. Das waren in Deutschland zwanzigtausend Mark. Mein ganzes Jahresgehalt.
»Es ist noch
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