Saigon - Berlin Thriller
Schwachsinn?« Ich versuchte mich von dem Leder abzuwenden, in dem kurzfristig einige Molche hätten Schwimmen lernen können.
»Weil diese Gürtel nicht normal sind. Pflaster, Verbandspäckchen, Skalpell, Puder, Salben, Nahtzeug für Wunden sind normal, wenn kein Sanitäter dabei ist. Jeder Soldat ist in erster Hilfe ausgebildet. Aber das hier übersteigt meine Erfahrungen.«
Micky zündete sich eine Zigarette an. Trank aus der Whiskeyflasche. Mir bot sie nichts an.
»Gibt es denn hier keine Ärzte? Ich meine, warum musst du das alles als Schwester machen?« Ihre offensichtliche Unruhe steckte mich an.
»Eben deswegen. Es gibt keinen amerikanischen Arzt mehr auf der Basis. Die haben sich alle verdrückt. Jetzt bleibt alles an einem Halbarzt der Nationalarmee hängen. Aber der ist total überfordert und ständig noch betrunkener als ich.«
Sollte ich jetzt über diesen trockenen Humor lachen oder weinen? Der Urin war in den Stiefeln versickert. Ohne eine Pfütze zu hinterlassen. Das Leder hatte ihn einfach gesoffen.
»Seltsam«, murmelte ich. »Funktioniert tatsächlich.«
Mickys Busen bebte vor Lachen.
»Was denkst du denn? Da kommt jetzt etwas Backpulver rein, dann kannst du deine Füße essen.«
Sie streute die Stiefel mit einer Hand voll Pulver aus und verrieb alles im Innenleder. Lachte und lachte, bis ihr Doppelkinn einen Muskelkater bekam. Für sie war ich ein Spielzeug, um das man sich noch Sorgen machen musste. Sie ahnte, dass jemand ihr dieses Spielzeug kaputtmachen konnte.
»Was meinst du mit Schwachsinn an diesem Einsatz?«, versuchte ich eine vernünftige Aussage zu ihrer Bemerkung zu bekommen. Das Pulver half. Es roch nicht mehr nach Urin aus den Stiefeln.
Micky blies die Backen auf. Nun sah sie wie ein Schokoladen-Doughnut aus.
»So viel Morphin, wie ich in die Gürtel packen muss, ist unüblich. So, als wollte jemand euch alle fünfundzwanzig in einen schmerzfreien Tod schicken.«
»Seid ihr so weit? Warum ist Peter noch nicht geschminkt?«
Oliver stand im Raum. Ich hatte ihn nicht kommen hören.
»Es ist aber erst dreiundzwanzig Uhr. Die Rede war von drei Uhr«, protestierte ich. Ein wenig Schlaf wäre schon angebracht. Wenigstens die paar Stunden.
»Der Einsatz ist vorverlegt worden. Also, in fünfzehn Minuten am Hangar eins.« Und zu Micky, die nichts sagte, nur dumpfe Laute aus ihrem Brustbereich hervorzauberte: »Schminken. Der Weißarsch muss wie die anderen aussehen.«
Dann war er wieder weg.
Drei Tage später.
»Du sagst nichts. Was quält dich? Bist du mit deiner Fotoausbeute nicht zufrieden? Mann, das ist doch dein Durchbruch. Freu dich, dass du überlebt hast.«
Oliver prostete mir im Offizierskasino zu. Er lächelte. Ich nicht. Er war geflogen. Ich gelaufen. Micky hatte mich erst wieder von der grünen Tarnfarbe im Gesicht befreit und auf »Gebrauchtspuren«, wie sie Verletzungen nannte, untersucht. Wir waren alle so geschminkt. Jetzt, nach dem Einsatz, wusste ich warum. Es war nicht nur, um im diffusen Licht des Urwalds möglichst unauffällig zu bleiben. Weiße Haut war hier verräterisch. Nein, es war wirkliche Tarnung gewesen. Eine Camouflage der Sinnlosigkeit. Und ich hatte sie auf fast dreißig Filmen dokumentiert.
Warum? Warum hatte man mich geradezu genötigt, diesen Einsatz zu dokumentieren? Es war kein anderer Journalist zugegen gewesen. Wir hatten weder einen Colonel Eppstein noch einen La Troux befreien können. Die hatte es in diesem armseligen Dorf niemals gegeben. Dafür waren wir Stunde um Stunde durch den Urwald gelaufen. Waren ohne eigene Verluste zum Sammelpunkt zurückgekehrt und von Oliver wieder aufgesammelt worden. Der Einsatz war völkerrechtlich illegal. Weit im Land der offiziell am Krieg nicht beteiligten Nation Kambodscha. Ich verstand den Sinn dieses mörderischen Einsatzes nicht.
»Du denkst zu viel«, riss mich Oliver aus meinen Gedanken. »Es hätte auch anders ausgehen können. Es ist nun mal so. Was die sich in Saigon ausdenken, ist nicht unser Problem. Ich fliege, du berichtest. Frage besser nicht nach mehr.«
»Es wurde ein ganzes Dorf mit wehrlosen Menschen niedergemacht. Die Schweine haben selbst Hühner erschossen. Was soll der Schwachsinn?«, wütete ich. Die Bilder gingen mir nicht aus dem Kopf. Selbst wenn ich sie verdrängte, ich hatte sie fotografiert. Wie ein Voyeur hatte ich mit den Kameras draufgehalten.
Oliver zuckte mit den Schultern.
»Sagte ich doch. Von denen, die diesen Einsatz machen, darfst du kein soziales
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