Sakramentisch (German Edition)
Ottakring als der, dem er
damals zum ersten Mal begegnet war. Die Ursache für diesen neuen Ottakring
konnte nur im sehr privaten Bereich liegen.
Ottakring war verheiratet. Seine Frau war Lola Herrenhaus,
Programmchefin des Bayerischen Fernsehens. Die Ehe galt als glücklich.
Rico Stahl ließ seine Beziehungen spielen und fand einiges heraus.
Lola Herrenhaus war spür- und erkennbar jünger als ihr Mann. Eine
kühl-elegante, attraktive Frau mit Selbstbewusstsein und melodischer Stimme.
Rein äußerlich passten die beiden nicht zusammen. Ricos Quelle berichtete von
dem Malta-Urlaub. Seither schien Lola sich verändert zu haben. Ottakrings
Veränderung schien ihrer zu folgen. Sie hatten getrennt gewohnt. Ottakring war
aus-, dann wieder eingezogen. Weihnachten hatte er ihr Geschenke gekauft.
Der Mann, mit dem sie in München öfter gesehen wurde, hieß Dierk
Weimar. Er stammte aus Mecklenburg, war Redakteur beim Bayerischen Fernsehen,
sozusagen ein Kollege von Lola Ottakring.
Im Sender war es ein offenes Geheimnis, dass die beiden etwas
miteinander hatten, obwohl sie sich alle Mühe gaben, es zu vertuschen.
Doch an diesem Punkt fiel bei Rico Stahl, als ihn die Meldung
erreichte, sofort eine Klappe. Er wurde skeptisch. Zu oft hatte er schon
erlebt, dass die Firma sich irrte, dass die Kollegen einfach geil auf
Sensationen waren.
Er ließ den nächsten Kontakt zwischen Weimar und Herrenhaus abhören
und aufzeichnen. Dienstag in der Früh um zehn Uhr zweiundzwanzig. Er selbst
hörte über den Lautsprecher des Handys mit.
Weimar: »Grüß dich, Lola.«
Herrenhaus: »Servus, Dierk, mein Paladin.«
Weimar (lacht): »Nu mach’s halblang. Hast du den Abend gut verdaut?«
Herrenhaus: »Wunderbar! Auch die Dekoration war ausnehmend gut. Wo
bist du gerade?«
Weimar: »… (geht in Autolärm unter)«
Herrenhaus: »Wie bitte? Ich kann dich nicht verstehen.«
Weimar: »Blöde Baustelle. Beinahe wär mir … egal. Sag mir bitte: Ist
mein Golgatha-Projekt schon durch? Oder scheitert’s auch diesmal wieder an den
Kosten? Weißt du da schon mehr?«
Herrenhaus (kurze Pause): »Ich hab mich beim Intendanten weiß Gott
wie dafür eingesetzt, das kannst du mir glauben. Aber wie die nachher
entscheiden, das liegt einzig in Gottes Hand. (kichert) Nicht in meiner.«
Weimar: »Hmmm. Nicht in deiner kleinen zarten Hand. (räuspert sich)
Ja, also … Ich finde, das Cello ist ein reizendes Lokal. So richtig wie für uns
geschaffen. Wir sollten dort wieder einmal einchecken. Wann ginge es denn bei
dir?«
Und so ging es weiter. Was steckte dahinter? Es war kein
Liebesgesäusel. Es konnte das unentschlossene Hin und Her zweier Menschen sein,
die beruflich miteinander verbandelt waren. Aber sie trafen sich. Dierk Weimar
war verheiratet, Lola Herrenhaus war verheiratet. Beide hatten vielleicht
Gefallen aneinander gefunden – mehr war nicht herauszuhören.
Rico Stahl verordnete sich Ruhe. Der Grund für Joe Ottakrings
depressives Verhalten musste woanders liegen.
Ottakring graute ein bisschen vor dem Kreuzverhör, dem Lola ihn
unterziehen würde. Bevor er ins Haus ging, setzte er sich trotz der Schneedecke
auf der Bank im Garten hin. Er atmete schwer. Auf dem Dach gegenüber sah er
vier oder fünf Krähen hocken, schwarz wie ein Scherenschnitt gegen den dunkler
werdenden Himmel.
Das Sprichwort fiel ihm ein, das ihm einmal jemand im Präsidium
gesagt hatte. Chili Toledo, glaubte er sich zu erinnern, war es gewesen. »Eine
Frau«, hatte sie zitiert, »ist so etwas wie ein Koffer ohne Handgriff. Man weiß
nicht recht, wie man sie halten soll. Außerdem muss man ständig befürchten,
dass sie einem entgleitet.« War es ein italienisches Sprichwort gewesen? Ein
portugiesisches? Ein kirgisisches? Er lächelte gequält. Ja, Chili hatte Humor,
die Kleine. Trotzdem: Damals hatte er es originell gefunden. Jetzt war es nur
schal.
Er erhob sich und ging zur Haustür.
Lola drückte ihm einen zerstreuten Kuss auf den Mundwinkel.
»Wo warst du?«
»Im Präsidium. Rico Stahl wollte mich sprechen. Warum fragst du?«
»Heute ist Sonntag«, sagte sie nur. Sie wandte sich ab und ließ ihn
stehen.
»Was hast du?«, rief er ihr hinterher. »Warum fragst du mich das
überhaupt?«
Mehr und mehr befürchtete er, etwas Falsches zu sagen. Er kam sich
vor, als hätte er die Haut gewechselt. Er hatte Angst, sie zu verlieren. Denn
etwas stimmte nicht mit seiner Frau. Etwas stimmte sakramentisch nicht!
Absolut!
Mit funkelnden Augen kam sie
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