Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sakramentisch (German Edition)

Sakramentisch (German Edition)

Titel: Sakramentisch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
Vom Netzwerk:
Charme bezaubert. Wenn das keine Bestimmung war. Auch dass dieses Heft
ausgerechnet jetzt geöffnet vor ihm lag … Er begann wieder an den
Weihnachtsmann zu glauben und hatte Mühe, seine Gedanken zurück in geordnete
Bahnen zu lenken.
    »Hey! Und? Was ist mit dir?« Werner holte ihn aus seinem Traum. »Was
machen wir mit Artur? Was wird seine Rolle sein?«
    »Artur? Der steht mitten im Geschehen. Den brauchen wir. Der soll
was tun für sein Geld. Übrigens war der Gerichtsvollzieher schon wieder bei
ihm.«
    Werner schmunzelte selbstgefällig. »Gut, dass ich die Pranke auf dem
Haufen Geld aus dem Dirndlüberfall habe.« Er machte einen Schritt auf Hadi zu
und zog die Stirn in Falten. »Was, wenn wir bald noch mehr Geld haben werden?
Noch viel mehr Geld.«
    Hadi konnte den Blick nicht von Políns Foto wenden. Gedankenverloren
sagte er: »Das ist Arturs Geld. Er denkt momentan immer an Geld, weil er keines
hat. Aber wenn er dann einmal Geld haben wird, wird er nur noch an Geld denken.
Davor müssen wir ihn bewahren.«
    Werner war Rechtsanwalt und gewohnt, schnell und logisch zu denken.
Ein Spezialist im Spalten von Haaren. Diesen Ausspruch Hadis hätte er gern
schriftlich gehabt, um ihn zu analysieren. Er sah das Weiß von Hadis Augen im
Dämmerlicht.
    Gegen halb zehn Uhr abends verließ Werner Stuffer den
Konferenzraum und das Hotel. Kurz vor zehn telefonierte Hadi mit Artur Josef.
Gegen elf Uhr trat Hadi vors Hotel, um Luft zu schnappen.
    Der Himmel war aufgerissen. Zwischen schweren Wolkenbänken hing die
weiße Mondscheibe, die fast rund war. Ein, zwei Tage vor Vollmond. Hinten,
gegen ein verwaschenes Dunkelgrau, ragten die Zacken der Ackerlspitze wie die
Zacken einer Säge in den Himmel.
    Er stapfte über die geräumte Zufahrt, nur um sich zu bewegen. Seine
Gedanken vagabundierten, er konnte sie nicht bändigen. Er brauchte ein letztes
Bier.
    Auch um diese Zeit war die Bar des Garstigen Bären überfüllt.
Aufmerksame Barkeeper im gestärkten Hemd mit Fliege. Die Mienen der männlichen
Gäste zwischen munter und verdrossen. Die Mädchen trugen Schwarz. Sie hatten
kunstvoll zerzauste, abstehende Haare, blasse Gesichter über zu großen
Lederjacken und schwere Schuhe an den Füßen. Selbst die anmutigsten Beine
wirkten in diesen Tretern klobig. Warum waren sie nicht in ihren Skiklamotten geblieben?
    Am anderen Ende der Bar versuchte ein erkennbar osteuropäisches Paar
bei einem Barmann zu bestellen, der vor ihnen stand und das beliebte
Skihüttenspiel des totalen Nichtverstehens aufführte.
    »Skosch!« Der Mann hielt zwei Finger hoch. »Skosch!«
    »Wie?«
    »Skosch!«
    Der Barkeeper zuckte mit den Schultern. »I versteh di net.«
    Der Mann nahm die Getränkekarte in die Hand, blätterte Seite fünf
her und presste den Zeigefinger auf die Mitte.
    »Skosch!«
    »Aha. Whisky.«
    »Äà, Äà. Whisky. Skosch Whisky.«
    Erleichtertes Nicken, während sich der Barkeeper schlängelnd seinen
Weg durch die Menschenmenge suchte.
    Hadi folgte ihm mit den Augen. An einer Person – weiblich, fröhlich,
extravagant – blieben sie haften. Sie stand in einer Gruppe junger Leute und
hielt ein Glas in der Hand.
    Wie elektrisiert sprang er vom Hocker.
    Da hatte sie ihn schon längst erkannt. Wie einem alten Bekannten,
besser: Wie einem guten Freund, winkte sie ihm und hauchte ihm einen Kuss von
der Handfläche zu.
    Was sollte er tun? Er war hier, um ein Gute-Nacht-Bier zu trinken,
nicht um zu feiern. Er war unschlüssig.
    Da löste sie sich aus ihrer Gruppe und kam mit offenen Armen auf ihn
zu. Kleine, perlige Zähne, bunt gestreifter Missoni-Pulli, lange Beine in engen
Jeans, die Füße steckten in blutroten Pantoletten.
    »Hadi!«, rief sie ihn beim Namen. »Hadi Yohl! Deshalb kamst du mir
gleich so bekannt vor. Hadi Yohl, der berühmte Kriminalschriftsteller. Und
ausgerechnet dich fahre ich über den Haufen!«
    Sie legte ihm die Arme um den Nacken und küsste ihn feucht auf die
Wange.
    »Hallo, Polín«, sagte er leise. Er war hingerissen. »Was tust du
hier im Hotel?«
    Sie lachte ihn an und wickelte sich eine weiche Locke um den Finger.
Wunderbares Platinhaar, entblößter, porzellanweißer Hals, aufgeworfene
Unterlippe, sanfter Atem, ein zarter Duft nach weißem Flieder.
    Die rote Sonne der Begierde machte sich in ihm breit.
    »Ich wohne hier«, sagte sie.
    »Hier im Hotel?« Inzwischen hatte er sein zweites Bier in Arbeit. Er
trank es in einem Zug leer und war kurz davor, sich vor Aufregung zu verschlucken.
    »Ja«,

Weitere Kostenlose Bücher