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Sakramentisch (German Edition)

Sakramentisch (German Edition)

Titel: Sakramentisch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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sagte sie. »Immer mal. Und jetzt gerade wieder.«
    Sie warf ihm einen neckischen Blick aus ihren Zwielichtaugen zu,
drehte sich ab und rief ihm im Weggehen zu: »Du kannst ja wieder mal mit mir
Schlitten fahren.«
    Er sah ihr nach. Die leicht angehobenen Schulterblätter, der
hauchzarte Flaum am Halsansatz und ihr straffes Gesäß brachten ihn zum
Schaudern. Seine Gesichtsmuskeln zuckten. Er kratzte sich laut an seiner
sandigen Backe. Zu gern hätte er sie noch einiges gefragt, zum Beispiel wie sie
in das Modeheft und wie das Modeheft in den Konferenzraum gekommen war. Doch er
blieb standhaft und schlüpfte wenig später allein auf dem Zimmer in seinen
kanariengelben Pyjama. Mit der Bleistiftspitze fuhr er auf dem Messtischblatt
die Straßen und Sträßchen nördlich von Schloss Maxlrain bis Ebersberg nach.
Dann ging er zufrieden zu Bett und löschte das Licht.
    Der erste Traum ist der tiefste, sagt man. Hadis Traum spielte sich
in einem orientalischen Bazar ab. Er saß mit den Händlern auf dem Boden, links
und rechts die Handelsgassen mit Teppichen, Vasen, Wandbehängen und Vitrinen
billigen Schmucks. Gerade war er dabei, einem kleinen, runden Dicken mit
schwarzem Schnauzer ein Halsband abzuschwatzen, da schlug ihm ein anderer eine
Messingglocke über den Kopf. Mit jedem Treffer bimmelte die Glocke, immer und
immer wieder.
    Bis er aufwachte.
    Er hatte vergessen, das Handy leise zu schalten. Es klingelte, immer
und immer wieder. Hatte er die Uhrzeit falsch eingestellt? Es war kurz vor halb
zwei. Vor einer Stunde war er zu Bett gegangen. Er drehte sich zur Seite und
griff nach dem Telefon. Es war ein Anruf. Die Nummer kam ihm unbekannt vor. Wer
zum Teufel rief um diese Zeit an? Es konnte nichts Gutes bedeuten.
    Oder war es etwa Polín?
    Es war Artur.
    »Unmöglich«, krächzte er ins Telefon. »Ich kann unmöglich mitmachen.
Ich habe Fieber, und mir geht’s sauschlecht. Ich glaub, das ist doch die
verdammte Nachwirkung, die hab ich unterschätzt. Wenn nicht ein Wunder
geschieht, müsst ihr das Ding allein durchziehen. Ist ja nicht mehr lang hin.«
    Das stimmte. Heute war der dreißigste Januar, die Messe begann in
nicht einmal vier Wochen.
    »Und du glaubst nicht, dass du bis zum Fünfundzwanzigsten wieder fit
sein wirst?«
    Ein nervöses Husten. »Rechne zumindest nicht mit mir. Es tut mir so
leid. Ihr setzt euch wegen mir dem ganzen Risiko aus und ich kneife jetzt.
Willst du nicht die ganze Sache abblasen?«
    Hadi hatte Artur in Kenntnis gesetzt, dass es um die Schmuckmesse
ging. Doch im Detail war er nicht informiert.
    »Auf keinen Fall. Wir müssen nur zusehen, wie wir dich ersetzen
können.«
    Ein heiseres Lachen kam vom anderen Ende. »Ich bin unersetzlich!
Sakramentisch unersetzlich.«
    Danach schlief Hadi durch wie ein Stein.
    Es war ein seltsames Gefühl, von der Sonne geweckt zu werden.
Die feinen Vorhänge konnten nicht verhindern, dass sie ihm mitten ins Gesicht
schien. Ein paar Sekunden lang rätselte er, wo er sich befand. Er blickte aus
dem Fenster. Weißer Morgendunst lag über dem Tal, darüber breitete sich ein
wolkenloser Himmel aus, ganz entgegen der Vorhersage.
    Das Alpendorf unter ihm lag da wie das Sandkastenmodell eines
Architekten. Adrette weiße Wattebäumchen, Häuschen mit weißen und andere mit
roten Dächern, denen der Regen den Schnee weggewaschen hatte. Sie waren gleichmäßig
über den Talboden verstreut. Er sah die Kirche, die Schule, hörte von weither
das Vieh blöken. Im Sommer würde es draußen auf fetten Wiesen weiden, zusammen
mit Hirschen, Maultieren und Einhörnern.
    Das Zusammentreffen mit Polín kam ihm in den Sinn. Und – schockartig
– die schlechte Botschaft von Artur. Er wollte erst das eine regeln, dann das
andere.
    Der Empfangschef des Hotels war ein Mann mit einem langen, knochigen
Gesicht unter einem braunen, gescheitelten Haarschopf. Er stand an
herausgehobener Stelle hinter der Rezeption neben zwei uniformierten Kollegen
und einer Kollegin.
    »Eine Dame, die sich Polín nennt«, begann Hadi etwas umständlich.
»Wahrscheinlich ein Model. Sie wohnt hier im Hotel. Darf ich fragen, wer sie
ist?«
    Der Knochige räusperte sich und warf wie hilfesuchend einen Blick
auf seinen Nachbarn.
    Der zuckte die Achseln und sah Hadi vielsagend an. Dann griff er
hinter sich, öffnete ein in der Wand versenktes Messingkästchen, entnahm ihm
einen niedrigen Stoß Farbfotos, ließ die Fotos durch die Finger rauschen,
stoppte, entnahm ein Foto und reichte es Hadi über den

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