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Salambo

Salambo

Titel: Salambo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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sie das jährliche Opfer, das sie dem tyrischen Melkarth schuldeten, noch nicht nach Phönizien gesandt hatten. Ungeheurer Schrecken erfasste sie. Offenbar zürnten die Götter der Republik und wollten gründliche Rache üben.
    Man sah in den Göttern grausame Herren, die man durch Gebete besänftigen und durch Weihgeschenke gewinnen konnte. Alle aber waren ohnmächtig vor Moloch, dem Verschlinger. Das Leben, sogar das Fleisch der Menschen gehörte ihm. Daher war es bei den Karthagern Brauch, ihm einen Teil davon zu opfern, um seine Gier zu stillen. Man brannte den Kindern an der Stirn oder im Nacken Zeichen ein, und da diese symbolische Art, den Baal zu befriedigen, den Priestern viel Geld eintrug, so versäumten sie nicht, diesen leichten und milden Ausweg zu empfehlen.
    Diesmal aber handelte es sich um das Heil der Republik. Da jeder Vorteil durch irgendeinen Verlust erkauft werden muss und jeder Vertrag sich nach dem Bedürfnis des Schwächeren und der Forderung des Stärkeren regelt, so durfte für den Gott, der am entsetzlichsten sein Ergötzen hatte und in dessen Hand man jetzt völlig war, kein Opfer zu groß sein. Man musste Moloch voll befriedigen. Beispiele bewiesen, dass das Übel dann aufhörte. Überdies glaubte man, ein Brandopfer würde Karthago entsühnen. Die wilden Instinkte des Volkes regten sich sofort. Zudem musste die Wahl der Opfer lediglich die Patrizierfamilien treffen.
    Die Alten versammelten sich. Die Sitzung währte lange. Auch Hanno nahm daran teil. Da er nicht mehr sitzen konnte, lag er neben der Tür, von den Fransen des hohen Vorhanges halb verdeckt. Als der Oberpriester Molochs fragte, ob man bereit wäre, die Kinder zu opfern, da erscholl Hannos Stimme plötzlich aus dem Dunkel wie das Gebrüll eines bösen Geistes aus einer tiefen Höhle. Er bedaure, sagte er, keine Kinder eigenen Blutes opfern zu können. Dabei schielte er Hamilkar an, der ihm gegenüber am anderen Ende des Saales saß. Der Sufet wurde durch diesen Blick derart verwirrt, dass er die Augen niederschlug. Alle bejahten die Frage des Oberpriesters der Reihe nach durch Kopfnicken. Auch Hamilkar musste dem Brauch gemäß antworten: „Ja, so sei es!“ Darauf ordneten die Alten das Opfer durch eine herkömmliche Umschreibung an; denn es gibt Dinge, die schwerer auszusprechen als auszuführen sind.
    Der Beschluss wurde fast augenblicklich in Karthago bekannt. Wehgeschrei erklang. Überall hörte man die Frauen jammern. Die Männer trösteten oder schimpften mit ihnen und redeten ihnen zu.
    Drei Stunden später verbreitete sich eine neue wichtige Nachricht: der Sufet hatte am Fuße der steilen Küste Quellen gefunden. Man eilte hin. Im Sand waren Löcher gegraben. Wasser stand darin, und schon lagen Menschen flach auf dem Bauch und tranken daraus.
    Hamilkar wusste selbst nicht, ob dies eine Erleuchtung durch die Götter oder die dunkle Erinnerung an eine vertrauliche Mitteilung war, die ihm sein Vater einst gemacht hatte. Als er die Alten verlassen hatte, war er zum Strand hinab gestiegen und hatte mit seinen Sklaven begonnen, den Sand aufzuscharren.
    Er ließ Gewänder, Schuhe und Wein verteilen. Er gab das letzte Getreide weg, das er noch besaß. Er ließ die Menge sogar in seinen Palast ein und öffnete die Küchen, die Vorratskammern und alle Gemächer außer denen Salambos. Er machte bekannt, dass sechstausend gallische Söldner unterwegs seien und dass der König von Mazedonien Hilfstruppen schicke.
    Doch schon am zweiten Tage begannen die Quellen nachzulassen, und am Abend des dritten waren sie völlig versiegt. Da lief der Befehl der Alten abermals von Mund zu Munde, und die Molochpriester gingen nunmehr an ihre Arbeit.
    Männer in schwarzen Gewändern erschienen in den Häusern und Palästen. Viele Bewohner hatten sie vorher verlassen, indem sie ein Geschäft oder eine Besorgung vorschützten. Die Schergen Molochs traten rücksichtslos ein und nahmen die Kinder. Manche lieferten sie ihnen stumpfsinnig selbst aus. Man führte die Kleinen zum Tempel der Tanit, deren Priesterinnen es oblag, sie bis zu dem Tage der Feier zu unterhalten und zu ernähren.
    Man kam auch zu Hamilkar und fand ihn in seinem Garten.
    â€žBarkas! Wir kommen. Du weißt, weshalb ... Dein Sohn ...“
    Sie fügten hinzu, im vergangenen Monat sei der kleine Hannibal in der Straße der Mappalier

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