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Salamitaktik

Salamitaktik

Titel: Salamitaktik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf H. Dorweiler
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zum Kehlkopf. Obduktionen waren teuer und wurden darum leider viel zu selten durchgeführt. Wer mochte ahnen, wie viele Morde nicht als solche erkannt wurden, weil auf die innere Leichenschau verzichtet worden war. Wenn ein Arzt nach der äußeren Leichenschau dem Staatsanwalt mitteilte, dass eine Obduktion nicht zwingend erforderlich war, bedeutete das rausgeschmissenes Geld, falls man sie trotzdem anordnete. Das leuchtete im Grunde auch ein. Das Problem in diesem Fall war nur der Arzt. Schönhorst war wahrscheinlich der unfähigste Mediziner, den Schlageter sich vorstellen konnte. Dass er ein Alkoholproblem hatte, war bei den älteren Kollegen in der Direktion ein offenes Geheimnis. Und das nicht erst seit gestern. Vor zwanzig Jahren hatte Schönhorst, der auch als Rechtsmediziner praktizierte, die Leichenschau im ungelösten Wellenbrink-Fall vorgenommen. Schlageter hatte damals eine volle Stunde neben der Leiche gesessen, bis der Arzt im eigenen Wagen und einem Zustand aufgetaucht war, in dem er längst nicht mehr hätte fahren dürfen. Weil er jedoch ein paar Fürsprecher in den oberen Etagen hatte, war er damals nur zu einer Entziehungskur verdonnert worden. Ein halbes Jahr später war er schon wieder im Dienst gewesen, lange Zeit unauffällig, zugegeben, aber Schlageter hatte des Öfteren gehört, dass jemand eine Fahne an ihm wahrgenommen haben wollte. Ausgerechnet dieser Mann war für die Leichenschau verantwortlich gewesen.
    Â»Hallo? Erde an Schlageter«, sagte Westermann mit sonorer Stimme, um auf sich aufmerksam zu machen.
    Â»Ach, Entschuldigung. Mir ist gerade eingefallen, dass ich was Wichtiges vergessen habe.«
    Â»Okay. Haben Sie vielleicht auch vergessen, was Sie eigentlich hier wollten?«
    Schlageters Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: »Ihnen sagen, dass Sie ruhig jemanden zur Party mitbringen können.«
    Â»Ja, cool. Mach ich. Wie gesagt, eine Freundin. Wir kennen uns zwar noch nicht lange, aber ich glaube, das könnte was Ernstes werden.«
    Â»Haben Sie sich schon mit dem Ehemann unterhalten?«
    Â»Oh, nein, sie ist nicht verheiratet. Von verheirateten Frauen halte ich mich fern, das bringt nur Ärger, und am Schluss gehen sie zu ihren Typen zurück.«
    War Westermann so blöde oder tat er nur so?
    Â»Ich meinte den Ehemann der Toten!«
    Westermann schien immer noch nicht mitzubekommen, dass Schlageter keinen Small Talk machte, sondern ihn aushorchte. Das konnte Schlageter nur recht sein. Immerhin erfuhr er so den Grund für Fallers Abwesenheit: Er war beim Ehemann von Tamara Brockmann, einem Peter Brockmann, der auf dem Tüllinger Berg lebte. Westermann wollte gleich mit einem Spezialisten über das Thema »anaphylaktischer Schock« sprechen, danach waren beide um zwölf Uhr mit Emanuelle Lefèvre verabredet. Offenbar hatte sie einen Fehler gemacht, weil Tamara Brockmann vor der Behandlung nicht gefragt worden war, ob sie irgendwelche Allergien hatte. Es ging nur darum, einige letzte Fragen zu klären. Westermann ging davon aus, dass der Todesfall noch heute, spätestens aber am Montag zu den Akten wandern konnte.
    Während Schlageter das Büro der beiden Kollegen verließ, fluchte er innerlich darüber, dass der Tod der Frau anscheinend keinen richtigen Anlass bot, um einen handfesten Kriminalfall daraus zu machen. Aus der Traum vom aufgeklärten Mordfall in letzter Sekunde. Dabei hätte er gegen die Luschen Westermann und Faller leichtes Spiel gehabt. Wahrscheinlich hätte jeder Kollege schneller mit einer Lösung des Falles auftrumpfen können als diese beiden.
    Schlageter stapfte entmutigt in die Küche, um seine mittlerweile leere Tasse wieder aufzufüllen. War er eigentlich der Einzige, dem es eigenartig vorkam, dass die Frau einfach so gestorben war? »Scheiß Shrimps«, murmelte er leise vor sich hin. So eine blöde Todesursache hatte er in seiner ganzen Laufbahn nicht erlebt. Die Leute starben bei Unfällen, an richtigen Krankheiten, brachten sich selbst um die Ecke oder wurden von jemand anderem ins Jenseits befördert. Das war seine Welt. Ein blöder Shrimp in einer Salbe konnte doch nicht so schlimm sein. Davon musste man höchstens niesen oder bekam ein paar Pickel auf der Haut.
    * * *
    Um neun Uhr hatte Großvater Georg Birktaler an Marios Tür geklopft und ihm, ohne einzutreten, in seiner knappen Art zu verstehen gegeben, dass er dringend

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