Sally
des Schicksals gewesen, dass ich Linnerth ausgerechnet heute kennengelernt hatte.
HOTEL ORIENT
DIENSTAG, 29. SEPTEMBER 2009, 14:45 UHR. Wir trafen uns im Hotel Orient, einem legendären Wiener Stundenhotel und einem jener Orte, um die sich die romantischen Illusionen über das älteste Gewerbe der Welt ranken. Das Entree und die Zimmer entsprachen, opulent, dunkel, samtig und ein wenig stickig, ganz diesem Klischee. Aber für mich war das Orient ein Dienstort wie jeder andere, mit der kleinen Einschränkung, dass es mir im Normalfall durch seine öffentliche Exponiertheit zu wenig diskret und auch zu teuer gewesen wäre. Aber Hans, der mich dorthin beordert hatte, stand auf die plüschige Lokalität und er bezahlte schließlich die Rechnung. Mir sollte es also recht sein.
Die Badewanne war auch nicht viel anders als die in den mir bereits vertrauten billigeren Absteigen. Sie war für zwei eigentlich zu eng, zumal Hans ein groß gewachsener muskulöser Mann war. Mir ist es in der Wanne ohnedies immer entweder zu warm oder zu kalt, im Orient war Ersteres der Fall. Das heiße Wasser und der Dampf trieben uns den Schweiß auf die Stirn, und ich fühlte, wie mein Kopf rot anlief. Hans ging es genauso.
»Komm«, sagte er. »Raus aus dem Wasser.«
Er war mir auf Anhieb sympathisch gewesen. Im schnieken Anzug und mit einer Sporttasche unterm Arm hatte er das Zimmer betreten. Nach meinem misstrauischen Blick auf die Tasche hatte er lachend erklärt, dass sich darin nur sein Sportzeug befinde. Er arbeite in einer Bank und trainiere nach Dienstschluss eine Handballmannschaft. Als er nackt vor mir gestanden war, hatte ich gesehen, dass er auch selbst ziemlich viel trainierte.
»Dreh dich um«, befahl er, als wir auf den feuchten Fliesen neben der Wanne standen. Der Spiegel an der Decke über uns war beschlagen.
Ich bückte mich leicht nach vorne und hielt mich am Rand der Badewanne fest. Er drang unverzüglich von hinten in mich ein und bearbeitete mich mit kurzen, kraftvollen Stößen. Danach legte er sich ermattet aufs Bett und ließ sich von mir die restliche Dreiviertelstunde massieren.
Von da an traf ich Hans regelmäßig, auch später noch, als ich bereits meine eigene kleine Dienstwohnung in Betrieb genommen hatte. Wie es der Zufall wollte, lag sie auf seinem Weg von der Bank zum Sportplatz. Er meldete sich meistens spontan. »Bin in deiner Nähe, hast du jetzt Zeit?«, fragte er dann per SMS an. Mit »jetzt« meinte er immer sofort und auf der Stelle. Es war relativ leicht, ihn in meinem Zeitplan unterzubringen, denn er brauchte nie mehr als zehn Minuten. Er wollte die schnelle, unkomplizierte Befriedigung und war dabei sehr höflich und nett. Hans erzählte nie, was er tat, wenn ich einmal keine Zeit für ihn hatte, aber das spielte für mich auch nicht die geringste Rolle.
4
NOVEMBER 2008. Während des gesamten Vortrags hing ich an seinen Lippen. Anton Linnerth verstand es, sein Publikum zu fesseln. Ich fing noch in der gleichen Woche bei ihm an und lernte schnell. Ich bekam eine Mitgliedsnummer seiner Firma H&S und war von diesem Moment an selbstständige Verkäuferin von Nahrungsergänzungsmitteln. In meiner Schneiderei legte ich ein kleines Lager an. Wenn einer meiner Kunden zum Beispiel über Abnutzungserscheinungen in den Knien klagte, verkaufte ich ihm Glucosamin für den Knorpelaufbau. Wem die vierzig Euro dafür zu viel waren, den warb ich als Mitglied an, dann konnte er um fünfundzwanzig Prozent billiger einkaufen, konnte die Produkte selbst vertreiben und ich schnitt am Gewinn mit. Darin lag die Chance dieses Geschäftsmodells. Ich bot über kijiji.at, eine Plattform für Gratisinserate, ein »leicht verdientes Nebeneinkommen« an. Auf diesem virtuellen Jahrmarkt tummelten sich Vertreter der unterschiedlichsten Branchen. Auch zweifelhafte Angebote waren dabei. »Susi bietet Mmmmhhhassagen« stand dort zum Beispiel oder: »Ich massiere gerne, und wenn du gerne massiert wirst, ruf mich an.« Das erinnerte mich daran, dass Mario gelernter Masseur war. Er hatte den Beruf zwar lange nicht mehr ausgeübt, ich schlug ihm dennoch vor, in den seriösen Rubriken zu inserieren und auf diese Art unser Einkommen aufzubessern. Aber Mario fehlte jeglicher Antrieb. Der Zusammenbruch seiner Finanzgeschäfte hatte ihn schwer geschockt, und ich spürte, dass er die Talsohle seiner persönlichen Krise noch nicht erreicht hatte. Er ließ sich gehen und zog mit Heinz um die Häuser. Ich wusste nicht, ob er sich am Ende
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