Sally
aber aus meiner Kehle drang nur ein gequältes, leises Röcheln. In diesem Augenblick gewann Mario seine Beherrschung zurück. Verwirrt hielt er inne.
»Oh Gott … Elke!«
In meinem Kopf hämmerte es von der Wucht des Aufpralls. Auf einmal herrschte im ganzen Haus Totenstille. Ich hätte in diesem Moment gerne von oben auf mich heruntergeblickt, als körperloses Wesen, das nicht mehr dazugehörte. Aber ich war noch hier. Der Schmerz in meinem Kopf ließ keinen Zweifel daran aufkommen. Ich lag am Boden und mein rechtes Bein war verdreht. Mein gesamter Körper fühlte sich geschwollen an.
»Elke … es … tut mir leid.«
Ich blinzelte in Marios Richtung. Fahrig fuhr er sich mit beiden Händen über das Gesicht, als wolle er sich an seinem eigenen Kinn festhalten. Er presste die Hand auf den Mund und sein Atem ging schwer und laut. Ich dachte, dass er jeden Moment zu weinen beginnen würde, und fragte mich, was ihn in diesem Moment am meisten bewegte. Die Angst vor seinen eigenen Ausbrüchen, mein unmenschlicher Anblick oder die Gewissheit, dass unsere gemeinsame Zukunft endgültig verloren war. Er schien jedenfalls ehrlich betroffen zu sein. Ich machte einen läppischen Versuch, mich aufzurappeln. Mühsam zog ich mich an einem Stuhl hoch. Mario war in sich zusammengesunken, das reinste Häufchen Elend. Sein muskulöser Körper wirkte jetzt verletzlich. Als wäre die ganze Luft aus ihm gewichen. Ich konnte seine Hilflosigkeit sogar verstehen.
Ohnmächtig standen wir uns gegenüber. Nichts verband uns noch außer unserem Leid. Unsere Tage waren gezählt. Ich würde meinen Mario, den Mario, den ich geheiratet hatte, nie wiedersehen. Vor mir stand ein Fremder. Ich sah ihn nur schemenhaft und er war unendlich weit entfernt.
Mein Hirn begann fieberhaft zu arbeiten. Ich konnte nicht weiter mit diesem Mann zusammenleben. Ich wollte von ihm befreit sein. Ich musste die Dinge irgendwie so regeln, dassMario nicht mehr bei uns im Haus wohnen würde. Aber dazu brauchte ich noch mehr Geld.
Als ich meinen Mann ansah, wie er vor mir zu versteinern drohte, ertappte ich mich trotzdem bei einem seltsam versöhnlichen Gedanken: Vermutlich wäre ich ebenso durchgedreht, wenn ich dieselben Dinge über meinen Ehemann erfahren hätte.
Nach diesem Eklat ging das Leben vorerst weiter, ohne dass Entscheidungen fielen. Wir konnten uns Veränderungen einfach nicht leisten. Eine Veränderung gab es aber doch und sie bestand darin, dass Heinz von diesem Tag an noch unverschämter wurde. Mario war ständig in Kontakt mit ihm, während ich in der Schneiderei Aufträge erledigte, mit den Kindern Hausaufgaben machte oder das Haus putzte.
»Die saubere Elke«, ätzte Heinz, als ich mich gerade mit dem Staubsauger abmühte. »Du machst ja schöne Sachen.«
Ich ignorierte ihn, so gut ich konnte.
»Der arme Mario ist ganz unglücklich, weil er weiß, dass du täglich fünf Schwänze lutschst.«
Ich kümmerte mich weiter um den Fußboden. Mario tat so, als würde er fernsehen.
»Marios Freunde finden das auch nicht gut«, meinte Heinz weiter. »Sie sagen, du bist eine lausige Ehefrau.«
Dieser Mann ekelte mich immer mehr an.
»Marios Freunde wollen seine Ehre wiederherstellen«, fuhr er fort. »Nutten werden erschossen oder in den Ostblock verschleppt. Hast du das gewusst, Elke?«
Hastig suchte ich Marios Blick, ein sinnlos gewordener Reflex. Mein Mann war nicht mehr für mich da.
»Elke, Schatz, du musst keine Angst haben«, sagte Heinz und erdreistete sich, mir einen Klaps auf den Po zu geben. »Ichwerde dich beschützen.« Er grinste breit und zog lautstark den Rotz auf. »Du musst dich halt auch erkenntlich zeigen, sagen wir einmal mit fünfhundert im Monat. Du bist ja jetzt Großverdienerin.«
Es war für mich unerträglich, dass sich dieses Individuum in meinem Haus aufhielt. Ich musste mich beherrschen, um ihn nicht tätlich anzugreifen. Er hörte nicht auf, mich zu demütigen. Er beteuerte, wie schade er es fände, wenn das Jugendamt von meinem Nebenjob erfahren würde. Und was wohl die Kinder sagen würden, wenn sie mehr über Mamas lukrative Einnahmequelle wüssten? Oder ihre Lehrer und Schulkollegen? Dabei grinste er hämisch.
Von diesem Gespräch an wurde meine Situation noch schlimmer, als sie es schon gewesen war und als ich es mir jemals vorstellen hätte können. Von diesem Tag an wurde ich erpresst.
Heinz und Marios dubiose Freunde waren allgegenwärtig, zumindest in meiner Fantasie. Hinter jeder Kurve vermutete ich
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