Sally
einen von ihnen. Ich fürchtete, dass sie mein Haus abfackeln könnten. Zu detailreich hatte mir Heinz geschildert, wie sie so etwas anstellen könnten, ohne dass die Versicherung Verdacht schöpfen würde. Angeblich gehörte eine Versicherungsangestellte zu ihrer Clique, die sie in solchen Angelegenheiten beriet.
Am Abend versteckte ich immer mein Auto, weil ich Angst hatte, dass die Erpresser etwas daran manipulieren könnten. Jedes Mal, wenn ich nach Wien fuhr, ließ ich bei der Wiener Neustädter Niederlassung des Autofahrerclubs ÖAMTC überprüfen, ob die Räder immer noch gut festgeschraubt waren. Die Mechaniker waren freundlich, nach meinem fünften Besuch aber auch irritiert.
»Ich habe derzeit Stress mit meinem Mann«, versuchte ich zu erklären. »Ich mache mir Sorgen, dass er etwas Dummes tun könnte.«
»Wir verstehen das schon«, meinten sie daraufhin.
Mario hatte aufgehört, mit mir zu sprechen, aber er gab weiterhin mein Geld aus. Ich arbeitete im Haushalt, in der Schneiderei, bei Linnerth und in Wien so viel, dass ich allmählich mein Zeitgefühl verlor. Ich arbeitete buchstäblich Tag und Nacht. Ich spulte mein Programm ab wie ein gut trainiertes Tier – meinen Alltag als Ehefrau und Mutter mit Nebenerwerbsschneiderei und meine Tête-à-têtes mit Herren aller Art an den Dienstagen.
Die Schneiderei blühte auf. Die Kunden gingen ein und aus. Gereicht hätte das Geld trotzdem niemals. Mit meinen Nebeneinkünften konnte ich das Leben von uns allen irgendwie bezahlen, aber an eine Tilgung unserer Schulden war nicht zu denken. Schon gar nicht, solange ich Geld an Heinz abliefern musste. Nachdem alle von Mario abgeschlossenen Verträge geplatzt waren, standen wir mit fast siebenundzwanzigtausend Euro in der Kreide. Die Bank war zwar wieder geduldig, weil es am Konto wieder Bewegung gab, aber es blieb mir nichts anderes übrig, als mich weiter abzurackern. Ich war im Krieg. Das war meine Realität. Jeder einzelner Tag war ein Kampf. Ein Kampf gegen das System, das mich zu erdrücken drohte, und ein Kampf gegen jene, die mir am nächsten waren. Aber im Moment sah ich keine andere Möglichkeit, das Haus zu behalten und weiterhin Familie zu spielen. Mittlerweile führte ich ein Doppelleben wie im Bilderbuch.
6
SEPTEMBER 2009. Bevor ich den Sexshop betrat, warf ich einen schnellen Blick über die Schulter. Das war mir zur Gewohnheit geworden. An der gegenüberliegenden Ecke parkte der rote Ford. Schamlos hefteten sich diese Halunken täglich an meine Fersen, als wäre ich Freiwild. Sie machten sich nicht einmal mehr die Mühe, unbemerkt zu bleiben.
»Alles außer anal und SM, was?«, hatte Heinz einmal zu mir gesagt und mir dabei schamlos zugezwinkert.
Sie mussten also sogar einen aus ihrer Clique als Kunde zu mir geschickt haben. Ich wollte nicht wissen, wer es gewesen war. Vor Wut und Verzweiflung hätte ich am liebsten hier mitten im Laden losgeheult, riss mich aber zusammen. Ich zwang mich, normal und froh auszusehen. Eine freundliche Verkäuferin trat an mich heran.
»Was kann ich für Sie tun?«
»Ich suche ein Mieder.«
Als Kind hatte mir mein Mieder trotz aller damit verbundenen Beschwerden auch Halt gegeben. Zuerst hatte es mich nur körperlich gestützt, später auch seelisch. Es war zu einem Teil von mir geworden. Nichts und niemand hätte sich zwischen mich und mein Mieder drängen können. Es hatte mir zu einer aufrechten Haltung verholfen und mir gleichzeitig die größte Pein verursacht. Es hatte mich gelehrt, auf mein Innerstes zu hören und den Körper und seine Bedürfnisse nicht überzubewerten. Durch das Mieder hatte ich früh erkannt, dass jeder Mensch im Grunde allein ist.
Die Verkäuferin sah aus wie eine Studentin. Sie verkaufte Sexpuppen, Sadomaso-Utensilien und Gleitmittel wie andere Leute Äpfel oder Bio-Feigen. Als ich meinen Wunsch geäußert hatte, führte sie mich weiter nach hinten in den Laden. Ich wählte ein schlichtes Exemplar aus Satin in der Größe x-small. Es sollte sitzen wie eine zweite Haut. Hier wollten sie dreiundsiebzig Euro dafür. Maßgeschneidert hätte so ein Ding dreihundert Euro oder mehr gekostet, und mich selbst hätten bei der Näherei die Fischgräten überfordert.
»Das bringt Ihre tolle Figur noch mehr zu Geltung.«
Die Verkäuferin hielt das Mieder an meinen Körper. Meine Hände glitten über den kühlen Stoff und folgten meinen Kurven. Konzentriert betrachtete ich mich von oben bis unten im Spiegel. Meine Gedanken schweiften in die
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