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Sally

Sally

Titel: Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Päsler
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fuhr er sich durch die gewellten grauen Haare und über das Gesicht. Seine Nervosität war ansteckend.
    »Nur herein.«
    Mit einer einladenden Geste bat ich ihn in meine Wohnung. Ausziehen, Kleider zusammenlegen, Duschen und den Blackberry auf lautlos schalten – das alles erledigte er blitzartig schnell. Obwohl er schon ein älteres Semester war, wirkte er flink und agil. Auf dem Bettrand saß er wie auf Nadeln. Ich musste ihn regelrecht zwingen, sich bequem hinzulegen.
    Den Termin hatten wir in einem ähnlichen Stil vereinbart. Ein knappes Telefonat, als ginge es um ein Geschäftsessen. Wobei ich bezweifelte, dass er Geschäftsessen mochte. Vermutlich unterhielt er sich am liebsten mit einem Notebook vor sich und einem Flipchart neben sich. Wie er überhaupt auf die Idee gekommen war, mich anzurufen, war mir ein Rätsel. Wahrscheinlich hatte er mich zwischen zwei Businesstermine gequetscht.
    Schultern, Oberschenkel, Po. Er seufzte. Seine Muskeln waren gespannt wie Drahtseile. Als ich ihn nach seinem Job fragte, referierte er mit monotoner Stimme und ohne Punkt und Komma seinen Lebenslauf. Er hieß Christian und war seit dreißig Jahren Vorstand eines mittelständischen Süßwarenunternehmens. Er machte die Strategien und war am Schluss verantwortlich, wenn die Zahlen nicht stimmten. Und im Moment stimmten die Zahlen in kaum einem Unternehmen der Welt. Die Belastungenmanifestierten sich in jeder Faser seines Körpers. Sein Rücken fühlte sich an, als wäre durch das ständige Unterdrücken seiner Gefühle eine Metallplatte zwischen Haut und Knochen entstanden.
    »Ist es gut so?«
    Sanft tastete ich mich mit den Fingerkuppen zu seinem Hinterteil zurück. Ich durfte ihn nicht überfordern. Er lag da wie auf der Lauer. Als drohe ihm Gefahr. Ich fuhr mit beiden Händen zwischen seine Oberschenkel. Er regte sich kaum, saugte aber meine Berührungen auf wie ein Schwamm. Er gab keinen Laut von sich, trotzdem merkte ich, wie sich seine Anspannung allmählich löste. Er atmete tiefer und ich verstärkte den Druck. Feucht spürte ich seine Erleichterung in meinen Händen.
    Die Zeit war abgelaufen, und ich hatte es eilig, weil ich mit meiner Tochter Hausaufgaben machen wollte. Doch der Mann auf meinem Massagebett rührte sich noch immer nicht. Ich beschloss, ihn noch ein wenig auszumassieren. Plötzlich zuckte er unter meinen Händen. Ich erschrak. Er weinte.
    »Habe ich dir weh getan?«, fragte ich bestürzt.
    Christian schluchzte und ich nahm ihn unwillkürlich in die Arme wie ein Kind.
    »Bitte entschuldige.«
    Er versuchte, seiner Tränenflut wieder Herr zu werden. »Ich habe so viel Liebe nicht mehr erfahren, seit meine Mutter gestorben ist«, stammelte er.
    Ich hielt seinen Kopf und wiegte ihn wie ein Baby. Er weinte über die kalte Welt da draußen. Ich weinte auch, heimlich, über meine unendliche Einsamkeit.
    »Pass auf dich auf«, sagte ich zum Abschied.
    »Danke, Sally«, antwortete er.

8
    NOVEMBER 2009. Eine befremdliche Routine kehrte in mein Leben ein. In der Rotlichtszene war ich bald bekannter, als mir lieb war. Ich konnte mich aber immer noch nicht von Mario lösen, weder in der Organisation unseres Lebens noch – trotz allem – innerlich. Mario passte auch immer bereitwilliger auf die Kinder auf. Solange ich Heinz’ und unsere Rechnungen bezahlte – unsere Fixkosten beliefen sich auf rund zweitausendfünfhundert Euro im Monat –, hatte ich auch eine gewisse Gestaltungsfreiheit in meinem Alltag. Je größer die Beträge waren, die ich ihm ablieferte, desto weniger kümmerte er sich darum, was ich so tat.
    Als ich in Wien ein kleines Zimmer-Küche-Appartement mietete, um künftig dort meiner Nebenbeschäftigung nachzugehen, verhielt sich Mario ziemlich professionell. Er sicherte damit ja sein Einkommen. Er schloss also den Mietvertrag auf seinen Namen ab, damit niemand Verdacht schöpfen konnte. Dem Vermieter selbst brauchte er allerdings nichts vorzumachen. Auch zuvor war die im Hochparterre gelegene Wohnung zum gleichen Zweck genutzt worden. Mario meldete auch meinen Wagen auf die Wiener Adresse an, damit niemand aufgrund meines Kennzeichens eine Verbindung zu unserem Heimatort herstellen konnte. Der Plan war, dass ich künftig mindestens zwei Tage die Woche nach Wien fahren würde. Mario fand das sogar gut.
    Was genau ich meinen Kunden anbot, war Mario egal. Mir aber war es das nicht. Bei Susanne hatte ich verstanden, dass ich als gewöhnliche Hure auf Dauer einfach zerbrechen würde. Deshalb

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