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Sally

Sally

Titel: Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Päsler
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bat, sich doch auf den Bauch zu legen, wollte ich mich in erster Linie selbst zur Routine zwingen. Noch einen Moment lang versuchte ich, Haltung zu bewahren. Öl lief durch meine Hände auf seine Haut. Thomas öffnete den Käfig erneut. Das Tier begann zu brüllen.
    Diesmal legten wir zwischen den Ausflügen in die gefährlichen Tiefen des Urwaldes Pausen ein. Thomas nutzte sie, um mich besser kennenzulernen. Plötzlich konnte er sprechen, aber ich ließ ihn kaum zu Wort kommen. Wie ein Wasserfall redete ich auf diesen Fremden ein. Gleich zu Beginn machte ich ihm klar, dass ich beschlossen hatte, mich niemals wieder zu verlieben. Ich erzählte ihm von meinem Haus, meinen Kindern, von der Schneiderei, vom Direktmarketing, von meinen Schulden, meinen verlorenen Träumen, meiner Misere mit Mario und generell von meinem Doppelleben als Hausfrau und Hure. Mitten im Redefluss bemerkte ich, wie peinlich es mir war, noch immer verheiratet zu sein. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart so unschuldig, dass es einfach nicht dazu passte. Also flunkerte ich ein bisschen. Er tat das in Sachen Job schließlich auch. Ich behauptete, dass ich bereits geschieden sei, aber abgesehen davon erzählte ich ihm mehr Wahrheiten als jemals einem Fremden zuvor. Ich redete vom verlorenen Halt in meinem Leben und von meinem Mieder. Ich redete und redete wie mit einemTherapeuten oder einem neutralen Dritten. Ich redete wie mit einer Klagemauer oder einem Priester. Er nahm mir die Beichte ab und meine Seele lechzte nach Absolution. Es fühlte sich an wie ein reinigendes Bad, bei dem ich schwerelos im warmen Wasser lag und alle Last und aller Schmutz von mir abfielen.
    Thomas hörte mir zu und ließ mich dabei nicht aus den Augen. Ich hatte vorsorglich keinen Termin mehr nach ihm eingeplant und, wie sich zeigte, zu Recht. Er hatte das Geld auch dieses Mal schon vorher auf die blaue Kommode gelegt. Dreihundert Euro für zwei Stunden. Hinterher legte er dreihundert für weitere zwei Stunden drauf.
    Was wir miteinander trieben, hatte nichts mehr mit einer Massage zu tun. Meine Spezialtechnik war bei ihm völlig sinnlos, weil er, sobald ich ihn berührte, wieder unkontrolliert seinen Lauten, Bewegungen und Emotionen nachgab. Er überwältigte mich mit einer unbeschreiblichen Inbrunst und Unverfälschtheit. Wir liebten uns wie Mann und Frau. Die Kraft unserer Vereinigung berührte mein Innerstes. Mein Gefühle waren rein, absichtslos und unbeschreiblich. Wir begegneten uns offen, ohne Hintergedanken, ohne Tricks. Wir verwendeten wieder kein Kondom, aber diesmal hatte ich keine Angst mehr.
    Nach diesem Treffen kam Thomas beinahe jeden Tag zu mir, bezahlte jedes Mal und ich schwelgte in einem sinnlichen Glück, das ich bald nicht mehr hinterfragte. Bis er sich eines Tages verabschiedete. Für eine Weile zumindest.
    »Ich bin jetzt zwei Wochen weg«, sagte er.
    Er fahre mit einigen seiner Wanderfreunde in den Urlaub, behauptete er. Sie würden irgendwo in Südtirol wandern gehen. Ich wusste, dass das nicht stimmen konnte. Aber ich konnte es ihm nicht verübeln. Ich hatte ihm schließlich auch nicht dieganze Wahrheit erzählt. Das war auch gar nicht nötig. Ich war dankbar dafür, ihn getroffen zu haben. Wer konnte schon von sich behaupten, so etwas erlebt zu haben? Diese Begegnung war ein Geschenk. Wir beide wussten, dass alles nur eine Illusion war. Ein Traum und viel zu schön, um wahr zu sein. Thomas würde irgendwann genug davon haben, aber das war jetzt egal. Ich wollte dieses Glück genießen, so lange es andauerte, und wenn es einmal enden sollte … nun ja, das Leben würde weitergehen. Ohne dass Thomas es merkte, sah ich ihm lange nach, als er durch das Haustor verschwand.

5
    MAI 2010. »Du hast heute aber ein hübsches Kleid an.«
    Snejana trug in beiden Händen volle Einkaufstaschen eines Diskontmarktes. Unter ihren weißblond gefärbten Haaren glänzten kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn. Die Haut um ihre Augen warf ähnliche Falten wie die Plisseeröcke, die ich früher von Hand gefertigt hatte.
    »Danke, das habe ich selbst geschneidert.«
    Ich war wie immer stolz auf mein Werk.
    »Toll gemacht«, sagte Snejana anerkennend.
    Ich half ihr, die Einkaufstaschen zu ihrer Wohnungstür zu schleppen.
    »Das ist lieb von dir, Schätzchen«, bedankte sie sich.
    Ich lächelte ihr zu.
    Die Welt um mich zeigte mir seit Kurzem wieder ihr sonniges Gesicht und ich war voller Kraft. Meine Kunden spürten das. Meine Eltern und meine Kinder auch. Wenn es

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