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Sally

Sally

Titel: Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Päsler
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uns und küssten uns wieder und wieder.
    »Nimm dir diesmal bitte etwas mehr Zeit für mich.«
    Ein Stein war mir vom Herzen gefallen, als ich Thomas’ Stimme am Telefon gehört hatte. Ich hatte mich erkundigt, ob alles reibungslos verlaufen war. Von einer verunglückten Gruppe habe er nichts gehört, hatte er gesagt, und ich war mir kindisch vorgekommen.
    »In der nächsten Woche habe ich einen Nachtdienst nach dem anderen, aber ich könnte am Dienstag tagsüber«, hatte er dann gesagt.
    Nochmals hatte er verlangt, dass ich diesmal genügend Zeit für ihn freihalten solle. Ich machte ein Kreuz über die gesamte Seite im Kalender und kaufte mir ein Paar neue Strümpfe.
    Die Käfigtür blieb den ganzen Tag offen, alle Grenzen waren verschwunden. Thomas verbrachte insgesamt vier Stunden bei mir, in mir, auf mir, unter mir, hinter mir und neben mir. Wäre nicht der Nachtdienst angestanden, wäre er noch länger geblieben. Wir konnten die Hände einfach nicht voneinander lassen. Unsere Körper kommunizierten wortlos miteinander und auch wenn wir redeten, verstanden wir uns blind.
    Mir fielen wieder die Passagen aus Texten und Berichten ein, die ich im Internet gelesen hatte. Tantra, diese alte Lehre aus dem Orient, in der sich alles um den Fluss der Energie dreht. Von der Verschmelzung männlicher und weiblicher Kraft wardarin die Rede gewesen. Der deutsche Energetiker hatte ebenfalls davon gesprochen und natürlich hatte er Recht gehabt. Aber mit Thomas war es noch mehr. Wir beide durften für Momente in die Ewigkeit schauen. Es ging nicht nur um pure Lust, das spürte er so gut wie ich. Das hier war eine Verbindung von Spiritualität und Erotik, die eine Kraft freisetzte, die nicht nur den Körper befriedigte, sondern vor allem auch den Geist.
    »Ich heiße nicht Thomas«, hörte ich ihn plötzlich sagen.
    Seine dunklen flackernden Augen rissen mich aus meinen Gedanken. Vom ersten Telefongespräch an hatte er mich also belogen. Ich sah ihm tief in die Augen. Er erzählte mir lächelnd, dass er nur zur Hälfte Europäer sei. Er sprach von seinen Eltern und seiner Kindheit. Zur anderen Hälfte war er Iraner und als er leise seinen wahren Namen sagte, klang dieser für mich wie aus einem der Märchen aus tausendundeiner Nacht.
    Karim Zahedi.
    Als er mich an diesem Tag in höchster Eile verließ, winkte ich ihm zum ersten Mal vom Fenster aus nach. Er war schon auf der Straße, als er sich noch einmal umdrehte. Ich schickte ihm Luftküsse und beobachtete ihn, bis er schließlich in der Straßenbahn verschwand. Dabei lächelte ich vor mich hin.
    Zurück im Massagezimmer ließ ich mich aufs Bett fallen, statt die Laken zu wechseln. Ich konnte mein Glück nicht fassen. Seit Monaten hatte ich das Zwiegespräch mit Gott gemieden. Zu schwierig schien meine Situation. Jetzt betete ich und fiel am helllichten Tag in einen tiefen seligen Schlaf.

7
    JUNI 2010. Obwohl mir die Gänge vertraut waren, zogen sie sich unnatürlich in die Länge. Auch ein gesunder Mensch braucht gute Nerven, wenn er die endlosen Flure in diesem Krankenhaus entlangläuft. Ich konzentrierte mich wieder auf mein Ziel. Karim hatte heute wieder Nachtdienst und ich besuchte ihn. Nachdem sich schon sein Name als Schwindelei herausgestellt hatte, kam jetzt endgültig die Stunde der Wahrheit. Ich fand, dass er gut in die Küche der Krankenhauskantine gepasst hätte. Es war mir aber ohnehin längst egal. Wir trafen uns jetzt regelmäßig wie ein ganz normales Liebespaar. Ich wusste inzwischen, dass er sich in Therapie befand, weil er sich für beziehungsunfähig hielt. Nach zwei fünfjährigen Beziehungen war er auf meinem Massageklappbett gelandet. Unnötig zu erwähnen, wie sein Therapeut auf diese Mitteilung reagiert hatte. Gerade an dem Tag, an dem er sich einfach nur etwas Gutes tun hatte wollen, hatte ihn erneut ein schicksalhafter Pfeil aus dem Köcher des eigenwilligen Amor ereilt.
    Je länger ich durch dieses Ungetüm von einem Krankenhaus lief, in dem ich als Kind und Jugendliche so viele leidvolle Stunden erlebt hatte, desto schwerer wurden meine Füße. Das Linoleum auf dem Boden fühlte sich pappig an. Als ich den Lift erreichte, drückte ich so fest auf den Knopf, dass mir beinahe ein Fingernagel abgebrochen wäre. Immer mit der Ruhe, dachte ich.
    Alle Etagen sahen hier gleich aus. In der Neurologie dieses Krankenhauses hatte ich einen Teil meiner Jugend verloren. Manchmal schaute ich dort vorbei, wenn es sich ergab, aber heute verzichtete ich darauf.

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