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Sally

Sally

Titel: Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Päsler
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Heute ging es nicht um die Vergangenheit, sondern um meine Zukunft. Der Fahrstuhl bringtmich in den siebten Himmel, dachte ich glücklich, selbst wenn sich herausstellen sollte, dass Karim der Liftwart ist.
    Als er mir im weißen Kittel entgegenkam, erhob ich mich rasch von dem Tischchen, an dem ich auf ihn gewartet hatte. Ich flog ihm förmlich entgegen und wenig später führte er mich durch die Gänge. Wir präsentieren uns dabei ganz offen und stolz als Liebespaar, vollgeladen mit der Kraft des Universums. Ich vergaß meinen Beruf, meine Situation, meinen Kummer, meine ganze Identität. Ich war nur noch Karims Geliebte.
    Entgegenkommende machten uns ganz selbstverständlich Platz. An seiner kräftigen Hand führte mich Karim in seine Welt. Auf der Brusttasche seines Mantels stand in großen Buchstaben sein voller Name: OA Dr. Karim Zahedi. Er war nicht nur Arzt, sondern sogar Oberarzt.
    »Elke?«
    Als wir die Tür zu seinem Zimmer hinter uns geschlossen hatten, packte er mich an den Schultern und zog mich fest an sich. Wir küssten uns.
    »Ich wünsche mir ein Kind von dir«, flüsterte er.
    Ich war Mutter von zwei Kindern, sterilisiert und jetzt völlig sprachlos. Ich brachte kein Wort heraus und starrte ihn hilflos an. Auf einmal war ich wieder Elke Päsler mit ihrem schweren Rucksack. Elke, die ihren Mann aushielt, mehrmals die Woche hundert Kilometer zurücklegte, um jeden einzelnen ihrer Freier glücklich zu machen. Ich war Sally, die Geld für Sex nahm, um die Gartenschere und die Schulmilch bezahlen zu können. Aber es stimmte, dass ich eigentlich noch nicht zu alt für Kinder war. Und ich liebte Kinder, ich lebte für meine eigenen.
    »Würdest du dich einer künstlichen Befruchtung unterziehen?«, fragte Karim plötzlich.
    Dieser Mann war Arzt.
    »Hast du meinen Beruf vergessen?«, versuchte ich nüchtern zu bleiben.
    Wortlos nahm er meine Hände in die seinen und küsste sie.

8
    JUNI BIS SEPTEMBER 2010. Wir durchbrachen schrittweise die Grenzen. Schon am nächsten Tag hielt Karim mir seine Wohnungstür auf. Kurz musste ich an einen Zeitungsartikel denken, demzufolge sich beinahe jede Single-Frau einen Arzt als Mann wünscht. Das liegt wohl daran, dass diese Männer so gut mit dem menschlichen Körper umzugehen verstehen, so viel über ihn wissen und gleichzeitig einen liebevollen Umgang mit Menschen pflegen. Vielleicht liegt es auch an der Sicherheit, die sie ausstrahlen. Wenn der Körper nicht mehr funktioniert, geht man zum Arzt. Dort wird alles wieder gut. Ich wusste nur, dass ich noch nie zuvor einen so liebevollen Mann wie Karim getroffen hatte.
    Trotzdem ließ ich ihn weiter bezahlen. Das hatte recht simple Gründe. Ich hätte es mir anders nicht leisten können. Schließlich verbrachte ich meine ganze Zeit mit ihm. Mario würde die Veränderung bemerken, wenn ich zu wenig Geld nach Hause brächte, Anke hatte demnächst eine Klassenfahrt und für Georg musste ich ein Fußball-Trainingscamp bezahlen. Im Geiste plante ich aber schon ein Treffen meiner Kinder mit Karim. Er hatte beteuert, dass er sie unbedingt kennenlernen wollte. Warum auch nicht? Karim fand für jedes Thema schöne Worte und gab mir ein Gefühl der Hoffnung. Diese positive Begegnung wollte ich auch meinen Kindern nicht vorenthalten.
    Karims Wohnung befand sich in einem renovierten Altbau mit Stuck im Treppenhaus. Es war altmodisch, elegant und irgendwie romantisch. Der Boden in der Eingangshalle war mit schlichten Terrakottafliesen gekachelt. Karim wohnte im dritten Stock und seine Wohnung war groß. Hohe, helle Räume. DieEinrichtung war allerdings typisch für einen Junggesellen. Da fehlte eindeutig die weibliche Hand. Das Ledersofa im Wohnzimmer war zwar bestimmt teuer gewesen, aber es stand am falschen Platz. Zwischen den Fenstern fristete eine leicht verdorrte Pflanze ihr klägliches Dasein. Am Esstisch stand mitten in einem wirren Kabelsalat ein verwaister Laptop. Eine zarte Staubschicht überzog ihn. Im Gang zur Toilette hing eine nackte Glühbirne von der Decke.
    »Wie lange lebst du schon hier?«
    Karim war meinem Blick gefolgt und lächelte schuldbewusst.
    »Ich muss unbedingt Lampen besorgen, aber die Nachtdienste machen einen so fertig«, sagte er. »Wenn ich nach Hause komme, falle ich nur noch ins Bett. Man kommt in meinem Job wirklich zu gar nichts.«
    Er zog mich an sich.
    »Vielleicht habe ich ja Glück, und du hast Lust, dich in Zukunft um meine Wohnung zu kümmern«, sagte er schelmisch. »Für mich allein ist

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