Sally
leicht, unser vor Gott gegebenes Versprechen, zueinanderzuhalten in guten wie in schlechten Zeiten, aufzuheben. Ich hatte schwere Fehler begangen, aber ich hatte es immerhin versucht. Nur Gott wusste, was ich alles dafür gegeben hatte, damit es nicht so weit kommen musste. Und jetzt, am Ende, war es nur ein Schriftzug, der all das Schöne und all das Hässliche beendete. Auf dem Papier ging es sehr schnell, ungeschehen machte die Unterschrift aber nichts.
»Und Sie bitte hier.«
Mario war an der Reihe.
Der Richter war ungeduldig. Seine Stimme klang monoton und routiniert. Für ihn war es eine alltägliche Angelegenheit. Mario unterschrieb an der ihm zugewiesenen Stelle links unten. Ich fand das seltsam. Die linke Seite ist doch die weibliche, schoss es mir durch den Kopf. Denn dort liegt das Herz.
Mario zögerte nicht. Die gleiche Unterschrift, die ihn vor vielen Jahren zu meinem Ehemann gemacht hatte, machte ihn jetzt offiziell zu meinem Exmann.
10
SEPTEMBER 2010. Wieder einmal schlüpfte ich leise aus meinem Bett. Der Mann neben mir seufzte und berührte mit geschlossenen Augen zärtlich meinen Rücken. Es kitzelte. Ich verharrte in meiner Bewegung, bis sein Arm wie leblos zur Seite fiel. Karim war wieder eingeschlafen.
Es war noch früh am Morgen, aber schon sehr warm. Auf Zehenspitzen schlich ich in die Küche und verließ in ein Tuch gewickelt mit einer Flasche Mineralwasser und einigen Scheiben Melone, die von gestern übriggeblieben waren, die Wohnung. Die Luft vibrierte und barfuß lief ich das Treppenhaus mit den großen Öffnungen nach oben. Auf Mallorca blieb es das ganze Jahr über warm genug, um auf witterungsfeste Glasscheiben verzichten zu können. Von der kleinen Gasse unter mir strömte ein süßlicher Geruch in meine Nase. Streunende Katzen miauten mich klagend an. Ich kam oben auf der Dachterrasse direkt über unserem Appartement an. Dort erstreckte sich gleißend das Meer vor mir. Die Sonne ging gerade auf und zwang mich, die Lider zusammenzukneifen.
Ich setzte mich auf den Liegestuhl und öffnete die Flasche. Das prickelnde Wasser perlte meine Kehle hinunter. Die Nacht war kurz und intensiv gewesen. Ich lehnte mich zurück und atmete tief durch. Ich wünschte mir, dass die Zeit stehenbleiben würde.
Später am Tag peitschte mir der Wind die Haare ins Gesicht. Das Blau vor mir schien unendlich weit zu sein.
»Anke, Georg, Vorsicht! Nicht zu weit nach vorne laufen!«
Cap de Formentor auf Mallorca war mein persönliches Kap der guten Hoffung. Karim hatte uns eingeladen und die Kinderhatten ihn hier liebgewonnen. Seine ruhige Art verfehlte ihre Wirkung auf die beiden nicht. Er hatte seinen eigenen Willen und war im Grunde der Meinung, dass alles nach seinen Vorstellungen zu geschehen hatte. Aber er machte das so geschickt, dass ich ihm nie böse sein konnte. Seine liebenswürdige Art war absolut schmeichelhaft für mich als Frau und tat auch meinen Kindern gut. Obwohl ich fast zwei Jahre älter war als er, fühlte ich mich in seiner Gegenwart manchmal selbst wieder wie ein kleines Mädchen. Wenn ich Zweifel gehabt hatte, dass dieser Jüngling mir als Frau und Mutter die Stirn bieten können würde, so zerstreute er sie bald. Vor allem war Karim geduldig. Ich war es nicht mehr gewohnt, dass sich jemand in mein Leben einmischte oder sich auch nur dafür interessierte, und er tat beides. Immer öfter ertappte ich mich dabei, wie sehr ich diesen Zustand genoss, vor ihm regelrecht dahinschmolz und nur noch ihm gehören wollte.
Er hatte mich auch überredet, die Kinder zu nehmen und mit ihm hierher auf diese paradiesische Insel zu fahren. »Lassen wir einfach für kurze Zeit alles hinter uns«, hatte er mir zugeflüstert. Ich willigte dankbar ein. Anfangs hatte ich noch gezögert und war von meinen Gefühlen hin und her gerissen worden. Sollte ich diese Liaison nicht besser gleich wieder beenden, weil jetzt der Schmerz noch nicht zu übermächtig sein würde? Welche Rolle würde es spielen, dass er Orientale war? Würden die kulturellen Unterschiede irgendwann zu groß sein? Ich dachte an die vielen gescheiterten Beziehungen zwischen muslimischen Männern und christlichen Frauen. Zahllose Bücher tragischen Inhalts waren darüber geschrieben worden. Ich befand mich zwischen Zweifel und Vernunft. Herz hin, Tränen her, ich hatte weder ein noch aus gewusst, und es gab niemanden, den ichum Rat hätte fragen können. Und dann waren wir einfach alle gemeinsam auf Mallorca. Wie lebten einen Traum
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