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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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den Ersten Tempel – Salomons (oder Hirams) Tempel – zusammengefasst, die ihnen an jenem durchzitterten, düsteren Tag nach ihrer Feuerprobe in den Bergen von Wyoming zuteilgeworden waren. Jetzt referierte er/sie laut, was sie auf sein/ihr Drängen hin während einer Siesta in einem Fossilienbett im Nordwesten Nebraskas über den Zweiten Tempel – Herodes’ Tempel – erfahren hatten.
    «Ich schlage vor, wir werden uns erst mal über die Daten klar», sagte Can o’ Beans. «Salomons Tempel wurde 586  v.Chr. zerstört, stimmt’s? Der Zweite Tempel, ein mehr oder weniger ordinärer Ersatz, wurde 515  v.Chr. zusammengezimmert. Das würde bedeuten, dass Jerusalem, warten Sie, einundsiebzig Jahre lang überhaupt keinen Tempel hatte. Natürlich waren die meisten Juden während dieser Periode im Babylonischen Exil, sodass es eigentlich keinen Grund für einen Tempel in Jerusalem gab. Doch um 515  – sind Sie nicht froh, Miss Spoon, dass unbelebte Objekte nicht der Geschichte unterworfen sind? Jedenfalls keiner, die uns zwingt, Jahreszahlen auswendig zu lernen. Wir sind doch besser dran, als wir glauben. Keine historischen Daten, keine gewöhnliche Erkältung, keine Einkommensteuer, keine gequetschten Zehen, Zahnschmerzen, Schuppen, Herpes, Mundgeruch, Sodbrennen oder Körperbehaarung. Vor allem Körperbehaarung. Igitt! Obwohl, mit einem schneidigen Ziegenbärtchen könnte ich mich anfreunden.»
    «Trockenfäule», grunzte Dirty Sock.
    «Wie bitte?»
    «Dafür haben die Menschen keine Probleme mit Trockenfäule. Oder Rost.»
    «Oh, da bin ich mir nicht so sicher», wandte Can o’ Beans ein. «Erinnern Sie sich noch an die alten Republikaner, die wir bei dieser Kundgebung in Iowa gesehen haben?» Spoon kicherte. «Aber sagen Sie, Mr. Sock», fuhr die Dose fort, «wissen Sie zufällig noch das Datum, zu dem König Herodes den Zweiten Tempel erneuert haben soll?»
    «Na klar. Anno einundzwanzig vor Christus hat der alte Knabe den Kasten auf Vordermann gebracht.» Dirty Sock wälzte sich herum und konzentrierte sich wieder auf die Straße, während Can o’ Beans und Miss Spoon leicht verwunderte Blicke wechselten.
     
    Erst während des Babylonischen Exils kriegten die Patriarchen ihr monotheistisches Weltbild endlich auf die Reihe. In all den Jahrhunderten, die vorbeigerauscht waren, seit der Stamm Abrahams die politische Entscheidung traf, seine lokale Stammesgottheit Jahwe zum einen und einzigen Gott des Kosmos hochzupushen, hatten Judäa und Israel die Große Mutter weiter verehrt. Die alten Juden liebten die Göttin, liebten sie wohl und weislich, und selbst als sie endlich einwilligten, Jahwe zu akzeptieren, bewahrten sie ihr einen heiligen Schrein – in ihren Tempeln und in ihren Herzen. Astarte oder Ashtoreth, wie sie genannt wurde, herrschte im Ersten Tempel von Jerusalem zusammen mit Jahwe und gelegentlich auch an seiner statt – eine Konstellation, die den Frauenfeinden der jahwistischen Rechten schon lange ein Dorn im Auge war.
    In der Babylonischen Gefangenschaft dagegen hielten die Juden zusammen, wie sie es zu Hause niemals geschafft hätten. Unterdrückung und Heimweh stärkten ihre gemeinsamen Bindungen. Je mehr die Babylonier über den Kraftmeier Jahwe spotteten, desto stärker hielten die Hebräer an ihm als einem einzigartigen, ihnen ureigenen kulturellen Symbol fest. Vom Propheten Hesekiel ermuntert, beeilten sich die Patriarchen, die Lage auszunutzen.
    In Babylon wurden dann auch die bislang so mannigfaltigen und unübersichtlichen Gesetze und Rituale des Judaismus überarbeitet und kodifiziert. Neue Traditionen, etwa die der Synagoge, wurden etabliert. Und ein strenges, gewaltiges, inspirierendes Dogma wurde aus dem uralten Wüstenerz gehämmert, das die Menschen in der Flamme ihrer Sehnsucht gesammelt und gereinigt hatten. Von dieser Zeit an prallten alle zärtlichen Küsse der Mutter am Panzer dogmatischen Messings ab. So groß waren Hass und Furcht der Patriarchen, dass sie sie in ihren Transkriptionen namenlos ließen. Wurde sie überhaupt erwähnt, dann höchstens als vages, unaussprechliches, lasterhaft heidnisches Übel.
    Um 538  v.Chr., als die jubelnden Exilanten in ein desolates Judäa zurückkehren durften (es war, wie man sich erinnern wird, im Verlauf der babylonischen Invasion dem Erdboden gleichgemacht worden), hatte ein knappes halbes Jahrhundert der Reprogrammierung sie von allen matriarchalischen Gefühlen geläutert. Zum Ruhme Jahwes, und Jahwes allein, bauten sie

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