Salomes siebter Schleier (German Edition)
ihn.
Seelenruhig packte er seine gesamte Garderobe (sechs Jeans, fünf Hawaiihemden), seine Schweißbrennerausrüstung und seine Sammlung von Spionageromanen in das vordere Ablageschränkchen. Dann nahm er einen ordentlichen Vorrat Pabst an Bord. Und schließlich richtete er die schimmernde Brust des Bratens nach Nordwesten.
«Wenn Ellen Cherry da nicht mitmacht, fahr ich einfach runter nach Mexiko und mach mich mit Tequila zu, bis ich ein lebendiges Fossil bin», sagte er.
I & I
Frauen hatten mehr für Sex übrig als Männer, davon war Ellen Cherry überzeugt. Zugegeben, Männer redeten mehr über Sex. Männer machten immer ein großes Getue darum mit ihren Witzen, ihren
Hustler
-Magazinen, ihrer aggressiven Anmache und allzu durchsichtigen Aufschneiderei – doch Ellen Cherry zufolge war das meiste davon für die Ohren anderer Männer bestimmt. Sie hielten es für männlich, so zu tun, als seien sie wahre Dynamos im Bett. So diente es größtenteils der Stabilisierung ihrer ungefestigten Männlichkeit, wenn sie sich in eine primitive Zurschaustellung ihrer Sexualität flüchteten, obwohl gerade ihr relativ geringes Interesse an echtem Körperkontakt häufig den Ursprung ihrer Unsicherheit bildete. Warum bin ich nicht geiler? Warum ist mein Schwanz nicht größer? Warum bin ich nach einem Orgasmus erledigt, während sie ein Dutzend hat und immer noch (mit einem neuen Mann) weitermachen könnte? Woher weiß ich, dass das wirklich mein Kind ist? Es hat rotes Haar! Ellen Cherry musste lachen.
Typisch, dass ihr eigener Appetit auf Sex unstillbar und unergründlich war. Und sich obendrein bedeckt hielt. In einer patriarchalischen Gesellschaft musste die unerschöpfliche Lust einer gesunden Frau auf Sex gut getarnt werden. Ohne sich der Ironie ihres Tuns bewusst zu werden, machten die Männer ein Mordsgetue um ihre schlaffe Begierde, während die intensivere Leidenschaft der Frau gewöhnlich versteckt wurde. Diese Überzeugung ließ sich Ellen Cherry von keinem ausreden.
Das Einzige, was sie mehr interessierte als Sex – in den fünf Jahren in Seattle hatte sie mindestens acht Knäblein den nächtlichen Tau ausgesaugt, aber keiner war, wie sie zu ihrer Enttäuschung feststellen musste, auch nur halb so gut wie Boomer –, war die Liebe. Und die Kunst. So kam es, dass sich Sex, Liebe und Kunst vermischten, als Boomer den umgemodelten Airstream auf dem Parkplatz vor ihrem Mietshaus abstellte.
Er hupte so laut, dass sie aus dem Fenster der kleinen Küche spähte. Die berüchtigten Regentropfen von Seattle schlugen Blasen auf der Feuerleiter, und der Himmel sah aus wie verschimmelter Bananenbrei. Aber da war er! Glänzend im Einheitsgrau. Zehn Meter lang, achteinhalb Tonnen schwer. Mit blinkenden Warnleuchten und einander jagenden Scheibenwischern. Und daneben Boomer Petway, der einen wilden, komischen Tanz aufführte und das Pfützenwasser fast bis zu den Extremitäten des Truthahns aufstieben ließ.
«Ich hab ihn für dich gemacht!», schrie Boomer. «Nur für dich, mein süßes Honigpfläumchen!»
«Juhuu!»
Nachdem sie sich mit dem erstbesten Utensil – zufällig ein tofuverkrustetes chinesisches Essstäbchen – durch die Locken gefahren war, rannte sie die Treppe hinunter. Ungeachtet der niederprasselnden Regendusche, strahlend vor Überraschung und Freude, spazierte sie Hand in Hand mit seinem Schöpfer um das exotische Truthahnmobil herum. Immer wieder machten sie die Runde, in halb amüsierter, halb ehrfurchtsvoller Trance, bis sie praktisch einen Pfad in den feuchten Asphalt getrampelt hatten. Schließlich nahm er sie in die Arme und trug sie ins Innere des Vogels. Ihr Höschen flog in die Ecke, noch bevor sie auf dem Bett landete.
Er hat mich ausgetrickst
, dachte Ellen Cherry jetzt.
Mir Kunst und Sex als Liebe verkauft.
Dummerweise traute sie ihren eigenen Gefühlen für Boomer auch nicht so recht. Nach kaum einwöchiger Ehe hing die Liebe schon durch wie ein ausgeleierter Keilriemen. Und auch die Lust, fürchtete sie, könnte mit der Zeit abhandenkommen. Könnte eines Morgens auf ihren salzigen roten Schwingen durchs Oberlicht davonschwirren. Doch was immer passierte, die Kunst würde ihr darüber hinweghelfen. Ihr traute sie genug, um sie mit nach New York zu nehmen. Sie würde ihr großen Spaß bringen. Ihr zum großen Durchbruch verhelfen. Ihr Manhattan schenken. Die Bronx und Staten Island gleich mit. Ihr ihr täglich Brot geben. Und Boomer mit seiner Schweißerei würde vorläufig
Weitere Kostenlose Bücher