Salomes siebter Schleier (German Edition)
für den Schinken darauf sorgen, und für Terpentin.
Boomer hatte sie mal bei einem Anruf aus Virginia gefragt: «Warum bedeutet dir dieses verrückte Zeug, dieser handgemalte Wahnsinn, eigentlich so dermaßen viel? Er taugt doch nur dazu, völlig normale Wände zu verschandeln.»
Es war eine schlechte Verbindung, aber er hätte schwören können, dass er sie antworten hörte: «Im Spukschloss des Lebens ist die Kunst die einzige Treppe, die nicht knarrt.»
Mr. und Mrs. Petway, Trickser und Ausgetrickste, zockelten in ihrem Truthahn durch eine Schlaufe des Bibelgürtels, jener gottesfürchtigen Region im Süden der Vereinigten Staaten. Überall sprangen ihnen die Slogans des Todeskults in die Augen. «Jesus kommt», verkündeten die Reklametafeln. «Bereite dich auf die Begegnung mit deinem Schöpfer vor.» – «Bereut, denn das Ende ist nah.» Can o’ Beans hatte das Gefühl, wenn der Weltuntergang nicht bald von selber käme, würden diese Leute eine Kollekte veranstalten und ihn in Auftrag geben.
«Die Zeit verrinnt.» – «Hast du dir deinen Platz im Neuen Jerusalem gesichert?» Echos der Sprüche von Onkel Buddy und seiner Sippschaft. Sie jagten Ellen Cherry heiße Schauer über den Rücken. Zumal es den bunt gefärbten Klippen und Kratern um die Reklametafeln gelungen war, ihre Doppelgängerin Jezabel aus dem Rougetiegel zu befreien.
«Bringt ihm das blutige Haupt der Hure», hieß es auf einem Schild, und das machte sie dann wirklich fickrig, denn sie war fest davon überzeugt, dass mit «Hure» niemand anderes gemeint sein konnte als Jezabel.
Mit zunehmendem Alter hatten sich ihre Übelkeitsanfälle beim Autofahren gelegt; trotzdem kniff sie jetzt die Augen zusammen, um sich mit dem guten alten Augenspiel abzulenken. Sofort wurden die groben, kantigen Konturen der Sandstein-Landschaft, die ineinander verschachtelten Konfigurationen von Plateaus, tief eingeschnittenen Wasserrinnen und natürlichen Kaminen weicher, unschärfer; der Hintergrund verschwamm, und die Landschaft trat hervor, bis sie nur noch Millimeter von Ellen Cherrys Nase entfernt war und wie ein vielfältig verwobenes Muster aus sich überlagernden Farbschichten wirkte. Doch da die körnige Oberfläche auch sehr dekorativ war – sie bestand hauptsächlich aus Lachs-, Trauben- und Elfenbeintönen –, wurde ihre Ähnlichkeit mit Schminke nur noch deutlicher betont als aus der Hard-Edge-Perspektive und Jezabels Gegenwart eher hervorgehoben als verdrängt. Daraufhin brach die Künstlerin das Spiel ab.
Kurz nach der Ankunft in Seattle, als der Vorfall an der VCU in ihrem Kopf noch schmerzlich lebendig gewesen war, hatte sie sich eine Bibel besorgt und nach den schmutzigen Details von Jezabels Ausschweifungen gesucht. Aus der Sonntagsschule hatte sie das vage Bild einer zutiefst unmoralischen, wie ein Rock-’n’-Roll-Vamp aufgedonnerten Schlampe behalten, konnte sich aber an kein einziges biographisches Faktum erinnern. Man stelle sich ihre Überraschung vor, als das alttestamentarische Buch der Könige sie darüber belehrte, dass Jezabel eine königliche – und treue – Ehefrau war.
Eigentlich ist die biblische Geschichte von Jezabel nur ein paar Sätze lang. Offenbar wurden sie und ihr Mann, König Ahab, von einem jungen Rechtsradikalen namens Jehu, der selbst scharf auf den Thron war, der Götzenverehrung beschuldigt. Zuvor hatte Ahab mit zweifelhaften Methoden einem Nachbarn ein Stück Land abgeluchst, und von Jezabel hieß es, sie habe ein Gerücht in die Welt gesetzt, das den Tod dieses Nachbarn zur Folge gehabt hatte. Der Hebräer Ahab war König von Nordisrael, Jezabel die Tochter eines phönizischen Königspaares. Als Ausländerin betete sie den Gott der Juden nicht gerade aus tiefstem Herzen an. Vielleicht gab das Anlass für den Vorwurf der Götzenverehrung, doch abgesehen davon, dass sie ihrem Mann bei seinem dubiosen Grundstücksdeal loyal zur Seite stand, legte sie offenbar ein ebenso korrektes Benehmen an den Tag wie, sagen wir, Königin Elisabeth.
Dann folgte eine seltsame, fatale Episode. Der ehrgeizige Jehu, der heimlich Jezabels Sohn ermordet hatte (Ahab war mittlerweile auf dem Schlachtfeld gefallen), erschien vor dem Tor von Jezabels Palast. Als Jezabel von seinem unerwarteten Besuch erfuhr, so die Bibel, «schminkte sie ihr Angesicht und schmückte ihr Haupt und sah zum Fenster hinaus». Einer anderen Überlieferung zufolge schminkte sie ihre «Augen» und «richtete ihr Haar». Jedenfalls stand sie
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