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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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der Welt eine Kellnerin mit schmerzenden Füßen aus der Küche watschelte, um einen Teller mit, nun ja, nicht unbedingt
baba ghanoug
, aber irgendeinem anderen ebenso belanglosen Gericht zu servieren, das den Magen und seine ewigen Kontraktionen beruhigte. Trotzdem musste sie zugeben, dass eine endlose Zukunft, in der endlose Paraden von Kellnerinnen endlose, immer wieder aufgewärmte Gerichte servierten, manchen Leuten als perfekte Beschreibung der Hölle erscheinen musste, während andere sich kein schöneres Paradies vorstellen konnten.
    I & I

Informationen über die Zeit lassen sich nicht einfach so vermitteln. Wie Möbel muss man sie abpolstern und auf die Seite kippen, damit sie durch die Tür passen. Wenn die Vergangenheit ein massives Eichenbuffet ist, dem man die Beine abschrauben und die Schubladen herausnehmen muss, bevor es in diesem veränderten Zustand durch die Pforten unseres Bewusstseins geschoben und aufgestellt werden kann, ist die Zukunft ein überdimensionales Wasserbett, das kaum eine Chance hat zu passen, vor allem dann nicht, wenn man es in einem Aufzug befördern will.
    Die Massen von Menschen, die die Zeit auch weiterhin als ewiges Streben nach der Zukunft begreifen wollen, kaufen sich ständig Wasserbetten, die sie nie über die Veranda oder den Hausflur hinausbekommen werden. Und wenn der Mensch die Aufgabe hat, in der Fülle der Gegenwart zu leben, hat er nun mal keinen Platz für ein Wasserbett, nicht mal, wenn er es durchs Dachfenster runterlassen könnte.
    Ellen Cherry Charles hatte ebenso sehr wie Buddy Winkler teil an der Geschichte, dieser modernen Bewusstseinsform, die das auseinandergenommene Buffet glorifiziert und sich trotzdem nichts sehnlicher wünscht als ein Wasserbett. Im Unterschied zu Reverend Buddy Winkler aber hatte Ellen Cherry die Natur – die lebendige Gegenwart, den lebenden Planeten – nicht abgelehnt, um einem transzendenten Ziel hinterherzujagen. Deshalb verwirrte sie Buddys Verhalten. Sie war im Moment einfach zu sehr damit beschäftigt,
tahini
auf Tische zu knallen und verschütteten Gin aufzuwischen, um die augenblicklichen Differenzen zwischen ihnen einigermaßen präzise analysieren zu können. Obgleich sie in ihrem kurzen Leben eine Menge Möbel hin und her gerückt hatte, wäre sie – selbst unter ruhigeren Umständen – intellektuell vielleicht auch gar nicht in der Lage dazu gewesen. Doch lag sie durchaus richtig mit der Vermutung, dass Buddys mangelndes Interesse an Natur, Kunst und menschlicher Erfahrung unmittelbar mit seiner Vorstellung von der Zeit zu tun hatte, besonders was jene unwiderruflich letzte Schichtwechselsirene betraf, der nur noch das Leben nach dem Tod folgte.
    Wenn der sechste Schleier fällt – und angesichts dieses barfüßigen Kindes namens Salome, das in einer von Testosteron blubbernden New Yorker Bar den uralten levantinischen Geburtstanz tanzt, ist es vielleicht nicht mehr verfrüht, von fallenden Schleiern zu sprechen –, wenn also der sechste Schleier fällt, wird sich die abstumpfende, korrumpierende Illusion, die Geschichte sei ein Hochgeschwindigkeitszug mit apokalyptischem Bestimmungsort, garantiert in Luft auflösen.
    Roland Abu Hadee hatte einmal gesagt, der Grund, warum Juden stets mehr als Moslems und, wenn wir schon dabei sind, auch mehr als Christen erreichen, der Grund, warum sie nur selten zögern, künstlerische, soziale oder ökonomische Aufgaben zu übernehmen, die einen, sagen wir mal, möglicherweise qualifizierteren Nichtjuden abschrecken würden, sei darin zu suchen, dass die Juden nicht alles auf die Jenseitskarte setzen. Die Juden spielen ihre Karten furchtlos aus und kassieren, was ihnen zusteht, im
Hier und Jetzt
. Das halten sie ihr Leben lang so, denn niemand hat sie als Volk bislang so ganz davon überzeugen können, dass die Banken auch im Himmel geöffnet haben.
    Offenbar weiß kein Mensch auf der Welt, ganz unabhängig von Rasse, Religion oder individuellem Erkenntnisstand, ob es ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht. Das wissen nur die Toten mit letzter Sicherheit, und die reden nicht. Energie geht nicht verloren, deshalb leuchtet die Vorstellung der Reinkarnation bis zu einem gewissen Grad ein, aber es gibt absolut keinen Beweis dafür, unbeschadet aller «Erinnerungen» an «vergangene Leben» (genetische Tonscherben?). Trotzdem blüht ein weitverbreiteter und strenger Glaube an das Ende der Zeit, und die Menschen sind davon überzeugt, dass sie beim Finale entweder im Olymp

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