Salomes siebter Schleier (German Edition)
und um ihren Hals lag ein Riff aus künstlichen Edelsteinen, an dem eine größere Goldinsel hing.
Nach Ellen Cherrys Meinung war das Kostüm
ongepotchket
– und altmodisch und unglaublich kitschig. Doch keiner der Anwesenden interessierte sich für Ellen Cherrys Meinung, nicht einmal Spike. Hier sollten wir nicht vergessen zu erwähnen, dass Salome barfuß war.
Von den lackierten Fußnägeln bis zu ihren schwarzen Ringellocken maß sie eins dreiundfünfzig, höchstens eins vierundfünfzig. Im Großen und Ganzen war ihr Körper schmal und schlangengleich: die Brüste klein und offensichtlich noch nicht ganz ausgereift, doch um die Hüften war sie etwas breiter, und das Becken wäre ohne weiteres imstande gewesen, ein Kind auszutragen. Trotz der dichten Augenbrauen war ihr Gesicht überwältigend. Sie hatte die Haut einer nachtblütigen Lilie, volle Lippen, wie aus dem Fleisch einer Honigmelone geformt, eine längliche Nase, die in ihrer anmutigen Form an die Schnecke einer kleinen Violine erinnerte, Wangen und Kinn, deren Gegensatz zwischen feinem Knochenbau und unbekümmertem Babyspeck die Eleganz eines Rennpferdes mit der Robustheit eines Maulesels kombinierten, und riesige feuchte braune Augen, deren latente Glut jeden Chemiker davon überzeugt hätte, dass Schokolade wenn schon kein lebender Organismus, so doch wenigstens ein fossiler Brennstoff ist.
Aber es war ihre Art, mehr noch als ihr Aussehen, die die Herzen der Männer in einen Laufradkäfig verwandelte. Wenn Salome auf der Bühne erschien, erinnerte sie an ein verwirrtes Reh im Scheinwerferlicht eines heranrasenden Lastwagens. Schüchtern und verlegen zappelte sie herum, warf ihre Haare nach hinten, rollte die Augen, klammerte sich nervös an ihr Tamburin, zupfte immer wieder an ihrer Hose, starrte in einem Augenblick das Publikum wütend an und schrak im nächsten vor ihm zurück. Doch hatte sie erst zu tanzen begonnen, wurden die Bewegungen ihres Körpers in keiner Weise von ihrer Scheu und Befangenheit behindert. Der Effekt war derselbe wie bei einem Mädchen, das Opfer einer Verführung wird. Ist sie Jungfrau, einem anderen Mann versprochen oder verachtet den Verführer, so wird sich ihr Bewusstsein seinen sexuellen Forderungen widersetzen, während ihr Körper, ohne dass sie es will, darauf reagiert. Falls es irgendwo auf der Welt etwas gibt, was die männliche Libido nachhaltiger anheizen kann als das, so hat man jedenfalls noch nie davon gehört.
In Ellen Cherrys Augen war Salome ein linkisches Schulmädchen, «fummelt an ihrem Hosenboden rum, als wär ihr das Höschen in die Arschspalte gerutscht», aber wie schon gesagt, niemand interessierte sich für Ellen Cherrys Meinung, am wenigsten Detective Shaftoe, der an einem Tisch ganz vorn saß und so aufgeregt war, dass er sich vorsichtshalber selbst unter Arrest stellte. Über Salome ließ sich nun mal nicht streiten. Über eine Kaiserin, eine Dichterin, einen Popstar kann man sich eine Meinung bilden, denn solche Frauen werden entweder im Bernstein der Geschichte eingeschlossen oder sausen mit dir die illusionäre Straße deiner eigenen Zeit hinab. Salome dagegen hatte etwas Zeitloses. Obgleich sie so unschuldig jung war, strahlte sie etwas aus, das auf jahrelange Erfahrung schließen ließ. Sie schien wissend, nicht bewusst oder auffällig, eher so, als hafte ihr etwas seltsam Bedeutungsvolles an, ein geheimes Wissen, eine verborgene Weisheit, eine helle kreative Macht und eine dunkle zerstörerische, über die sie nicht nachdenken musste, da sie weniger dachte als gedacht wurde.
Salome schüttelte ihre Halskette:
serpent à sonnettes.
Sie schüttelte ihre Armreifen:
rattelslang.
Sie schüttelte ihre Fußkettchen:
culebra de cascabel.
Sie schüttelte ihr Tamburin:
skallerorm
und
rattlesnake
. Und es wurde jedem Hans im Restaurant und jedem Franz an der Bar klar, dass sie diejenige war, die sich die Schlange zur Freundin erwählt, ihr das Blut ihrer ersten Menstruation zu trinken gegeben hatte, dass sie …
uuuh iiih
, dass sie …
uuuh iiih
, dass sie …
uuuh iiih
, dass sie nun wusste, was die Schlange wusste.
Je leidenschaftlicher sie tanzte, desto intensiver projizierte sie das Bild der passiven, leicht widerstrebenden Empfängerin männlicher Energie und symbolisierte zur gleichen Zeit (obwohl die Zeit nicht länger existierte) ein Instrument des Unheils, eine schreckliche Gefahr für alle Männer. Und durch den Schleier aus blauem Rauch und rotem Licht und den weißen Dampf der
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