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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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gezeigt, ist, entweder man brockt sich seine Suppe selbst ein, oder man frisst aus demselben Trog wie die Masse.»
    «Warum kommst du dann nich her und hilfst mir bei meiner Suppe? ’ne Menge Leute in Colonial Pines könnten neue Regeln gebrauchen. Und im Moment isses wunderbar hier. Du weißt ja selbst, wie schön der Frühling in Virginia sein kann.»
    Mutter und Tochter plauderten noch eine Weile über das Wetter, dann verabschiedete sich Ellen Cherry. Ihre Schicht hatte begonnen. Als sie auflegten, war Patsys Frohnatur wieder zum Vorschein gekommen, obgleich es sie beunruhigte, dass ihre Tochter schon wieder auf diese seltsame Geschichte mit dem Löffel zu sprechen gekommen war.
    Ellen Cherry drückte die Küchentür einen Spalt auf und spähte hinaus. Neun oder zehn Männer saßen in der Bar und sahen sich ein Spiel der Yankees auf dem futuristischen Bildschirm an. Der Speiseraum war leer. Wahrscheinlich würde es erst nach acht losgehen. Die Vorstellung begann um neun. Sie ließ die Tür wieder zufallen und ging durch die Küche zur Spüle, wo Abu mit einem widerspenstigen Wasserhahn kämpfte.
    «Mr. Hadee, glauben Sie, dass Männer wie Buddy Winkler wirklich gefährlich sind?»
    Auf seine Klempnerarbeit konzentriert – er wollte das Ding fertig repariert haben, bevor ihr inkompetenter Tellerwäscher eintraf –, antwortete Abu nicht sofort. Nach einer Weile blickte er auf und sagte Folgendes: «Jeder, der absolute Wertmaßstäbe für Gut und Böse aufstellt, ist gefährlich. Genauso gefährlich wie ein Verrückter mit einem geladenen Revolver. Im Grunde
ist
der Mann, der absolute Wertmaßstäbe für Gut und Böse aufstellt, gewöhnlich der Verrückte mit dem Revolver.»
    Dann konzentrierte er sich wieder auf den Wasserhahn. Die Mutter drehte sich ungefähr so schnell wie Turn Around Norman. Schließlich hatte er es geschafft, das Gewinde zu lösen. Dann richtete er sich auf, um das Maschinenöl zu suchen. «Übrigens hat Nabila Reverend Winkler gestern Abend im Fernsehen gesehen. Er sprach das Bittgebet auf der großen Kundgebung der Republikaner im Madison Square Garden. Offenbar haben sie ihn mit stehendem Applaus begrüßt, als er auf die Bühne kam.»
    Ellen Cherry schüttelte empört ihre Locken, dann beugte sie sich rasch über die Teller, um nachzusehen, ob sich auch kein Haar zwischen die Falafel verirrt hatte. «Nehmen wir mal an, er würde als Drahtzieher – oder einer der Drahtzieher – eines Anschlags entlarvt, der sich gegen ein berühmtes Gebäude richtete und den Tod unschuldiger Opfer zur Folge hätte?»
    «Und?»
    «Dann wären doch alle gegen ihn, oder?»
    Mit einem Stück Küchenpapier wischte Abu das restliche Öl vom Wasserhahn. Sein Lachen war so hart und scharf wie die Zehennägel des Roadrunners. «Darauf würde ich nicht bauen», sagte er. «Das hängt ganz davon ab. Wenn es im Namen Gottes oder des Vaterlandes begangen wird, ist kein Verbrechen zu abscheulich, als dass die Öffentlichkeit nicht bereit wäre, es zu vergeben.»
     
    Gegen neun war das I & I, nun ja, nicht rappelvoll, nicht überfüllt, aber doch gut besetzt und summte vor Erregung wie eine Telefonleitung. Viele Gäste vom vergangenen Abend waren wiedergekommen und hatten ihre Freunde mitgebracht. Zwar war das Restaurant nicht voll besetzt, doch es verzeichnete die größte Gästezahl seit dem Super-Bowl-Sonntag, und etwas von der Super-Bowl-Atmosphäre gespannter Ungeduld hing auch jetzt im Raum. Als es auf zehn zuging, waren die Männer so fickrig, als erwarteten sie jeden Augenblick den Anpfiff. In Wirklichkeit warteten sie auf ein sechzehnjähriges Mädchen, das der Bandleader widerwillig als «Salome» vorstellen würde.
    Dann erschien sie, ohne jede Vorwarnung und mit einem Minimum an Tamtam, auf der Bühne. Sie trug eine weite dünne Pumphose aus buntem Chiffon und darüber ein wesentlich undurchsichtigeres kurzes Oberteil und einen breiten Gürtel, beide mit Gold und Silber bestickt und mit Plättchen und Blumen besetzt. Die Hose saß so tief auf den Hüften, dass man jede Menge nackter Haut sah. Nur der Nabel wurde von einer Rosette aus Brokat in Form einer stilisierten Kastanienschale verdeckt, deren Stacheln etwas Rundes und Süßes und sehr Fruchtbares beschützten, irgendeinen mesopotamischen Samenkern, der noch nicht gekeimt hatte. Um ihre Handgelenke kreisten Geschwader aus Alabaster und Metall mit summenden Staffeln unsichtbarer Bienen darin, um ihre Knöchel wanden sich Perlen und Glöckchen,

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