Salomes siebter Schleier (German Edition)
entwickelte Ellen Cherry einen gewissen Groll gegen das I & I und seine Hauptattraktion. Je erfolgreicher das Restaurant wurde, desto mehr Zeit und Energie stahl es ihr. Sie freute sich für ihre Arbeitgeber, doch wieder einmal hatte sie ihre Rückkehr zum Malen aufgeschoben (ohne dass eine Herde großartig durchgedrehter Ideen auf die Klippen ihres Großhirns zugedonnert wäre, um sich kopfüber in die Farbeimer dort unten zu stürzen). Salome schien nun mal, wie Boomer, Riesenerfolg zu haben, ohne eigentlich etwas dafür zu tun (obwohl – wie konnte eine gekränkte Ellen Cherry wissen, ob Salome nicht den größten Teil ihres jungen Lebens damit verbracht hatte, diese anmutigen Bewegungen zu üben, die sie jetzt so zaudernd, wenn nicht gleichgültig, ausführte, und mehr noch, hatte nicht Ellen Cherry selbst versichert, es sei ihr egal, ob Künstler ihren Zoll zahlten, solange das Endprodukt Sidolin auf die Scheiben der Wahrnehmung spritzte?). Widersprüchlichkeit mag eine unvermeidliche Facette im schillernden Bewusstsein eines expandierenden Universums sein, aber Verbitterung schränkt die Objektivität auf trivialste Art und Weise ein, und Ellen Cherry war klar, dass sie dagegen ankämpfen musste. Wieder und wieder sagte sie sich, wie glücklich sie sich schätzen sollte, dass sich ihr Leben in eine Umgebung verlagert hatte, in der alle möglichen komischen Geschichten passieren konnten. «Jemine, hätte ich nicht das Augenspiel erfunden, als ich noch klein war, würde ich jetzt vielleicht in Colonial Pines hocken und einem Bauern seine Unterhosen waschen und bügeln.»
Gatten-, liebhaber- und jetzt auch noch vaterlos, konnte es Ellen Cherry nicht entgangen sein, dass Männerunterhosen definitiv zu den Posten gehörten, die in jedem Inventar ihrer Welt fehlten. Es war, als hätte ein gewaltiger Hoover alle in Frage kommenden Unterhosenträger aus ihrem Leben gesaugt. Natürlich gab es noch Abu. Und Spike, in recycelter Gestalt. Und keinen Mangel an männlicher Energie unter der Kundschaft des I & I. Andererseits, was war aus Turn Around Norman geworden? Und dem schöne Augen machenden Raoul? Auch sie waren von dem nahöstlichen Teppich gesaugt worden, der die Erde anscheinend in jede Richtung, so weit das Auge reichte, bedeckte.
Schließlich ließ sie sich ein Telefon in ihr Apartment legen, damit sie besser Kontakt zu Patsy halten konnte, wechselte freundliche, aber nichtssagende Briefe mit Boomer, übernahm die Lunch-Schicht im Restaurant und blieb freitags und samstags häufig länger, um beim Dinner auszuhelfen und, wie sie sagte, «den Männern zuzusehen, wenn sie über dem spastischen kleinen Luder mit Storchenbeinen und allem ausflippen», und – was sonst? Nicht viel. Der tägliche Klatsch und Tratsch in ihrer Wäscheschublade reduzierte sich dermaßen, dass Daruma schon dachte, die Höschen näherten sich der Erleuchtung.
«Das Wässer wird ruhig im Karpfenteich des Denkens», sagte der Vibrator anerkennend. Draußen im Atlantik aber nahmen die Wellen gigantische Ausmaße an und drohten Can o’ Beans pausenlos dem Griff der Seemuschel zu entreißen. Und über das Isaac & Ishmael’s ergoss sich ebenfalls eine Welle, die alles durcheinanderwarf.
I & I
Es war vier Uhr nachmittags, an einem Montag im September. Im späten September. So spät, dass man schon ganz genau hinsehen musste, um ihn vom Oktober zu unterscheiden. Stipp ein Stück Brot in Eierkuchenteig. Das ist der September, goldgelb, weich und klebrig. Dann röste das Brot. Jetzt hast du den Oktober: knuspriger, trockener, braun gestreift. Der fragliche Tag fiel irgendwo in die Mitte dieses geistigen Armen Ritters. Ein Hauch von eisgekühlter Marmelade lag in der Luft.
In der Bar des I & I versammelten sich die Stammgäste, um auf dem Riesenbildschirm wie jeden Montagabend die Footballübertragung zu verfolgen. Doch der Kickoff lag noch Stunden entfernt, und das Palaver an der Theke wandte sich anderen Themen zu. Einem anderen Thema, um genau zu sein.
«Sie wirkt immer so gelangweilt.»
«Nicht gelangweilt. Eher verängstigt.»
«Oh, ich weiß nicht …»
«Beides. Gelangweilt
und
verängstigt. Das isses ja, was in mein’ Kopf nich reingeht. Sie macht den Eindruck, wenn man mit ihr ins Bett geht, würd sie einen die ganze Zeit so anstarren.»
«Stimmt!»
«Da ’aben Sie rescht.»
«Sie würde nicht einfach nur daliegen. Sie würde es einem besorgen wie sonst was. Es wäre wie ein Ritt auf einem wilden Maultier. Hü!
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