Salomes siebter Schleier (German Edition)
die Kontroverse. Zwar konnte Ellen Cherry sie unmöglich ignorieren, aber es machte ihr auch keinerlei Probleme, sie zu bagatellisieren. Es gab wichtigere Sorgen, die ihre Synapsen unter den pekanbraunen und chicoréeblonden Locken beschäftigten, und nicht die geringste davon war Patsys bevorstehende Ankunft in New York mit Sack und Pack, Haut und Haar, Haus und Hof und allem sonstigen Drum und Dran.
Zur Vorbereitung auf Patsys weihnachtlichen Einzug in die nonstop tätige Espressomaschine Manhattan hatte sie sämtliche Akte von Boomer Petway mit Kreidegrund übertüncht. Diesem Handstreich lag ein zweifaches Motiv zugrunde: Zum einen wollte sie ihre künstlerische Bewunderung für Boomers schweres Geschütz verbergen (obgleich sie den Verdacht hatte, dass Patsys Faszination für das männliche Instrumentarium ihre eigene noch übertraf), und zum anderen brauchte sie neuen Malgrund. Das Bedürfnis, wieder zu malen, wuchs von Tag zu Tag, und eine ihrer größten Befürchtungen war, dass sie wegen Patsys Anwesenheit in der Wohnung weder die nötige Ruhe noch den Platz dafür haben würde.
Dann waren die Porträts von schmutzigen Socken und Bohnendosen drangekommen, einschließlich der halben Dose, die von ihrer letzten Reise in die Kreidezeit übrig geblieben war. (Tausende von Meilen entfernt schnappte ein deformierter, barrakudagebissener und splitternackter Can o’ Beans – die letzten Fetzen seines/ihres Etiketts hatten sich in den lauwarmen Gewässern des östlichen Mittelmeers aufgelöst – erschrocken nach Luft, als hätte er die Nachricht telepathisch aufgefangen. «Halten Sie noch eine Weile durch, es muss sein, es muss einfach sein», befahl Conch Shell. Sie konnte bereits die Schallwellen der Brandung wahrnehmen, die gegen einen Pier in Tel Aviv anrannte.) Als Nächstes wandte Ellen Cherry sich den Löffeln zu. Einen nach dem anderen übermalte sie, am ganzen Leib zitternd, bis nur noch ein einziges Löffelporträt übrig war. Sie war schon halbwegs entschlossen, es als Erinnerung an den verwirrenden Einfluss zu behalten, den das geheimnisvolle Kommen und Gehen des Löffels auf ihr Leben ausgeübt hatte (dabei verdächtigte sie Geheimagent Petway immer noch, irgendwie seine Finger im Spiel zu haben), und, was ebenso wichtig war, als Erinnerung an das unendliche Entzücken und verborgene Wissen, mit dem der Löffel sie belohnt hatte, als sie ihn zum Objekt des Augenspiels gemacht hatte. Doch nach einigem Nachdenken beschloss sie, dass es Dinge auf dieser Welt gab, auf die man sich besser nicht allzu intensiv einließ, sonst hingen sie einem am Kiel wie Rankenfußkrebse, man bekam Schlagseite und ging unter. Sie hatte einiges von ihrem Gleichgewicht wiedergewonnen, das sie beim Umzug nach New York eingebüßt hatte, und wollte nicht riskieren, durch den Sog eines unheimlichen Dessertlöffels erneut aus der Bahn geworfen zu werden. Doch halt! In gewisser Hinsicht hatte der Löffel in all seiner Unheimlichkeit ihr ja sogar geholfen, wieder zu sich selbst zu finden. Hatte der Löffel nicht den starren Panzer ihres Egos durchbohrt wie eine Gabel, und war nicht ein rigides Ego die Quelle für jede Menge Elend auf der Welt, und weiter, hatte sie nicht intuitiv einen Löffel in ihr Wandgemälde im I & I eingearbeitet? Am Ende beschloss sie, diesen einen Löffel zu retten, ihn aber sicherheitshalber der Wand zuzukehren.
Noch ein Gemälde blieb unverändert: Boomers Porträt mit den sieben Zungen. Dieses schleppte sie zu Ultima Sommervells Galerie. Ultima fand es nicht so gut wie ihr Wandgemälde im I & I, in das sie noch immer alle möglichen sozialen und politischen Bedeutungen hineinlas, obwohl sie auch bemängelte, dass es die Schwachstellen des Feminismus allzu sehr betonte. Trotzdem war Ultima davon überzeugt, dass sich Boomers Porträt kommerziell ausschlachten ließ, hauptsächlich wegen seines Themas. Seit Boomer sich nach Israel verdünnisiert hatte, zählte sein Name in der New Yorker Kunstszene mehr denn je. «Wäre er Jude», erklärte Ultima, «hätte man zu seiner Flucht nach Jerusalem nur beifällig genickt. Aber er ist ein weißer, nichtjüdischer Hillbilly aus dem Süden … Tja, meine Liebe, unser Mr. Petway gibt einem einige Rätsel auf.» Das Porträt verkaufte sich innerhalb von achtundvierzig Stunden für fünftausend Dollar, was Ellen Cherry wieder einmal vor dem Rausschmiss aus dem Ansonia bewahrte. Es wäre schon etwas komisch gewesen, wenn Patsy bei der Ankunft hätte
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