Salomes siebter Schleier (German Edition)
Bowl entscheiden.» Wie gewöhnlich hatte Detective Shaftoe recht.
Wie in allen modernen Wahlkampagnen war
fair play
von vornherein ausgeschlossen. Spike und Abu waren gezwungen, einen Großteil ihrer Zeit dafür zu opfern, Verhältnisse zu schaffen, die eine saubere Abstimmung garantierten. Das brachte ungefähr so viel wie Rotkäppchens Sorge um seine Großmutter. Vertreter beider Seiten schleppten Verwandte, Freunde und Bekannte an und versuchten, sie als Wahlberechtigte, das heißt als regelmäßige Gäste des I & I auszugeben. Es war schwierig, die schwarzen Schafe zu ermitteln, denn für Spike sahen die meisten Araber gleich aus, und Abu hatte dasselbe Problem mit den Juden. Rasse oder nationale Abstammung hatten jedoch wenig damit zu tun, auf welcher Seite die Leute standen. Es gab Nordafrikaner, die mit Feuereifer für den Football eintraten, Amerikaner, die sich leidenschaftlich für den Tanz einsetzten, und umgekehrt. Heterosexuelle Frauen und homosexuelle Männer standen geschlossen hinter Salome. Die Lesben forderten die Super Bowl.
Im Taumel der Erregung, der auf New Yorks Sieg in den Playoff-Spielen folgte, tendierte die Mehrheit eindeutig zur Super Bowl. Dann kam der Freitagabend, an dem Salome – schmollend und schüchtern wie immer – tanzte, als ritte sie eine ungesattelte Pythonschlange, tanzte wie die Trillerpfeife eines Bullen bei einer Bordellrazzia, tanzte wie eine automatische Uhr am Arm des heiligen Vitus. Das Pendel schwang um.
«Aber ich weiß einfach nicht, wie ich in voller Absicht die Super Bowl verpassen könnte», sagte ein verwirrter Herr. «Es kommt mir … pervers vor.»
«Bedenke Folgendes, mein Freund. Wann hast du das letzte Mal ein Super-Bowl-Spiel gesehen, das nicht öde wie sonst was gewesen wäre?»
«Na ja …»
«Sei ehrlich. Neunzig Prozent der Spiele waren sterbenslangweilig.»
«Jede Menge wichtiger Sachen sind langweilig. Die Kirche ist langweilig. Aber das ist keine Entschuldigung, um nicht hinzugehen. Die UNO ist langweilig.»
«Salome ist keine Kirche, und sie ist auch nicht die UNO –»
«Aber hallo!»
«Das kannst du laut sagen!»
«– und der Tanz der sieben Schleier ist auf keinen Fall von dieser Welt.»
«Kann ja gar nich.»
«Ausgeschlossen!»
«Unmöglich!»
«Ja, aber trotzdem …»
Als der Wahltag näher rückte, begannen Abu und Spike über den Ausgang zu rätseln. Nach eingehender Beobachtung, eigener Spekulation und wissenschaftlicher Schätzung kamen sie zu dem Ergebnis, dass fünfundzwanzig Prozent der wahlberechtigten Gäste für das Spiel waren, dreißig Prozent für den Tanz, und die übrigen fünfundvierzig Prozent nicht nur unentschlossen, sondern dermaßen hin- und hergerissen, dass sie sich wahrscheinlich der Stimme enthalten würden.
«Wie wir den Braten auch aufteilen, irgendeiner hat immer das Nachsehen», sagte Abu.
«Oj!», rief Spike. «Genau wie in Palästina.»
Ellen Cherry hatte das Auf und Ab, die schmutzigen Tricks, die Verbitterung und Konfusion mit distanzierter Belustigung beobachtet. Sie persönlich war für den Tanz, aber bloß aus Neugier, und neugierig war sie nur, weil sie gehört hatte, dass ihr Wandgemälde Salomes Entscheidung, den Schleiertanz doch zu tanzen, beeinflusst hatte. Natürlich hatte sie sich noch nie etwas aus Sport gemacht. Eines der wenigen Dinge, die sie an Boomer Petway wirklich bewunderte, war, dass er die Kugel an den Nagel gehängt und mit dem Tangotanzen angefangen hatte.
Eines Abends fragte sie ein paar Männer an der Bar: «Was würde eigentlich passieren, wenn der liebe Gott euch eure Bälle wegnehmen würde? Nehmen wir mal an, eine fliegende Untertasse würde sich in unsere Atmosphäre verirren und alle Bälle auf dem Planeten wegbeamen. Jeden einzelnen Football, Tennisball, Baseball, Basketball, Volleyball, Golfball, Softball, Squashball, Fußball, jede Krocket-, Billard- oder Bowlingkugel, bis hin zu Polobällen – was würde passieren? Würde die männliche Bevölkerung langsam, aber sicher durchdrehen? Würde Blut fließen? Würdet ihr Jungs einfach verkümmern? Oder würde das die Evolution einer höheren Spezies von Säugetieren beschleunigen?»
Einige glotzten sie dumm an, die anderen glotzten so, als wäre sie hier die Dumme.
«Es gibt keine fliegenden Untertassen», stellte der ägyptische Arzt trocken fest.
«Hoffentlich schießen sie keine Ballonköpfe ab, sonst sitzt
du
ganz schön in der Tinte», warnte Shaftoe.
I & I
Wochenlang tobte
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