Salomes siebter Schleier (German Edition)
feststellen müssen, dass Ellen Cherry am Heiligabend auf der Straße kampierte.
Kurz vor Patsy war noch ein Brief von Boomer gekommen. Ellen Cherry hatte ihm ebenfalls geschrieben. Ihre Nachrichten hatten sich gekreuzt, vielleicht über dem Atlantik (dessen unruhigen Wellen Conch Shell und Can o’ Beans gerade noch rechtzeitig vor den Winterstürmen hatten entkommen können), vielleicht auch über Jerusalem selbst, über Gaza, der Intifada, Steinen, Schafsköpfen, Honigkuchen, Gummigeschossen und der endlosen Karawane allerlei überlieferter Aberglauben.
Boomer berichtete, dass die Pales-Skulptur fertig war und in Kürze installiert werden sollte. Die Enthüllung war für die letzte Januarwoche vorgesehen. Danach würden einige Entscheidungen zu treffen sein. Zunächst aber erwartete er Buddy Winkler, der allerdings wohl erst nach der Einweihung, etwa Mitte Februar, kommen würde. Nachdem er ausgiebig mit dem Erfolg seiner Maskerade gestrunzt hatte, beschrieb er im letzten Absatz geradezu rührend die süßen Qualen, die er bei ihrer kurzen Begegnung ausgestanden hatte. «Als ich dich in deinem Kimono sah, hab ich mich gefühlt, als würde ein Imbisskoch Fleischzartmacher über mein Herz streuen», kritzelte er. «Ein zahnloses Baby hätte es wegschlabbern können. Einem alten Knacker mit blutenden Geschwüren wär es runtergegangen wie Butter.»
Was Ellen Cherrys Nachricht anging, so war sie so knapp, dass sie auf einer Hallmark-Postkarte Platz gefunden hatte. «Lieber Gatte und Meister der Verkleidung», schrieb sie. «Danke für die herrlichen Rosen. Ich wusste die ganze Zeit, dass du es warst.»
Patsys Maschine am Heiligabend landete mit einer Stunde Verspätung gegen Mittag. Ihre Emotionen waren ebenso kraus wie ihr Haar. «Und wieder kommt ein Provinzbanause in die große Stadt», verkündete sie, als sie durch die Sperre trat. «Lieber Himmel, Kleines, warum bin ich nich da unten geblieben, wo ich hingehör? Ich bin viel zu alt und hab viel zu viel von der Versicherung kassiert, um mich in so einen Fleischwolf wie New York zu stürzen. Ich hab das Gefühl, ich sollte dem ersten Strauchdieb, der mir über den Weg läuft, mein ganzes Geld in die Hand drücken, dann kann er sich die Mühe sparen, mich auszunehmen.»
«Ach Mami, da unterschätzt du deine Pfiffigkeit und überschätzt deine Barschaft. Du wirst in null Komma nichts pleite sein, das stimmt, aber das Geld landet bei Vermietern und Bloomingdale’s, nicht da, wo du denkst.»
In dieser Nacht brieten sie ein Hühnchen und schmückten ihr klägliches Tannenbäumchen, das noch verlorener und verängstigter wirkte als Patsy. Sie tranken Unmengen von Eierflips mit Rum, und am Ende brachen sie in Tränen aus, hauptsächlich wegen Verlin, obwohl sie auch ein Dutzend für Boomer Petway reservierten und ein weiteres halbes Dutzend für die Männer im Allgemeinen.
Am nächsten Morgen hatte sich Patsy ein wenig gefangen. «Wenn Bud in dieser schaurigen Stadt zurechtkommt, schaff ich das auch», sagte sie zu ihrem Frühstücksspeck.
«Du wirst sehen, es ist ganz einfach, Mami. Aber bitte, lass uns nicht über Onkel Bud reden.»
«Er wird erwarten, dass ich mich mit ihm verabrede.»
«Kannst du machen, wenn du willst, nur nicht unter meinem Dach.»
Sie wechselten das Thema und brachten das Gespräch auf das Isaac & Ishmael’s. Ellen Cherry erzählte von Salome, ihren Streichholzbeinchen, ihrem entflammten Publikum und der hellen Aufregung, die ihretwegen herrschte: Tanz der sieben Schleier gegen Super Bowl. Patsy war begeistert. «Ich hätt selber Tänzerin werden können», sagte sie sehnsüchtig, und dabei umkreiste die Gabel das Hochrelief ihrer Waffel wie ein getroffener Kampfflieger eine Bergregion auf der Suche nach einem Platz zum Notlanden.
Während der ersten Woche in New York weigerte sich Patsy Charles, das Ansonia ohne Begleitung ihrer Tochter zu verlassen. Wenn Ellen Cherry bei der Arbeit war, putzte Patsy das Apartment und tanzte zu Tapes von den Neville Brothers, nackt bis auf die weißen Go-go-Stiefelchen. Einmal stand sie am Fenster und sagte zu Ellen Cherry: «Es sieht so rau aus da draußen. Ein Wunder, dass du noch keine Schwielen davon gekriegt hast!»
«Könnte noch kommen», antwortete Ellen Cherry. «Aber man kann es auch so sehen, dass es einen glatt poliert, auf Hochglanz bringt sozusagen. Ich weiß noch, dass Boomer mir mal über den Nahen Osten geschrieben hat: ‹Je rauer das Land um mich herum wird, desto reiner
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