Salomes siebter Schleier (German Edition)
Painted Stick. «Salomon. Haha.»
Conch Shell wurde deutlicher. «König Salomon war der stolzeste und anmaßendste Mann, den die Welt je gesehen hat. Sein einziges Lebensziel bestand darin, seinen Ruhm zu verbreiten und seinen Namen in alle Ewigkeit unsterblich zu machen. Er versklavte seine Untertanen und missbrauchte jedermann in seiner Umgebung, um Monumente zum Gedenken seiner Größe zu errichten. Das werden Sie doch nicht als Weisheit bezeichnen wollen.»
«Aber er war doch wirklich berühmt, oder nicht?», fragte Can o’ Beans, denn er erinnerte sich an Geschichten über die sagenhafte Größe des Königs.
«Unter Salomon verarmte Israel und blieb hinter den anderen Ländern zurück. Seine ‹Städte› waren Dörfer aus Lehm. Nicht einmal Jerusalem konnte europäische und arabische Besucher beeindrucken.»
«Aber der Tempel», protestierte Can o’ Beans. «Was ist mit Salomons Tempel?»
«
Salomons
Tempel», wiederholte Painted Stick. «Haha.»
«Erstens war es nicht
Salomons
Tempel», erklärte Conch Shell, «sondern der von Hiram, Hiram aus Tyrus, der großen Stadt in Phönizien. Der Tempel trug Salomons Namen, das ist wahr, aber Hiram erbaute ihn, richtete ihn ein, schmückte ihn und nahm Einfluss auf die Aktivitäten darin. Zwar stand der Tempel in Jerusalem, in Wirklichkeit aber war er phönizisch.»
«So wie wir», rief Painted Stick dazwischen.
«Ja», gab Conch Shell zu. «Viele Phönizier dienten Israel: Hiram, Jezabel, zahllose Priester und Priesterinnen unserer Göttin, und auf bescheidene Art auch wir, eure bescheidenen Gäste.»
Bis jetzt hatte sich das exotische Paar nur ziemlich vage über den Grund seiner Reise nach Jerusalem ausgelassen, und die Bohnen in der Dose furzten praktisch vor Neugier. Jetzt ergriff Can o’ Beans die Gelegenheit beim Schopf und rückte noch ein bisschen näher. «Augenblick mal», meinte er/sie. «Wollen Sie etwa sagen …»
Aber sie wollten gar nichts sagen, im Moment wenigstens nicht. Eine Wolkenbank vor dem Mond zog sich zurück wie ein … ein Schleier von einem Gesicht, und im jäh aufscheinenden bleichen, beinahe klirrenden Frühlingsmondlicht drehte Painted Stick eine ausgiebige Pirouette auf dem Absatz und wirbelte dabei einen Haufen Tannennadeln auf wie Splitter blauen Glases. Seine kleinen Hörner kreisten und zuckten: eine Stimmgabel, die versucht, den Gesang der Sterne zu beeinflussen. Und wie das Herz eines großen Tieres, das plötzlich bricht, stieß Conch Shell eine rosige Wolke aus, die sich langsam im Mondlicht auflöste und einen Duft nach Honig und Meer verströmte.
«Wir müssen weiter», drängte die Muschel sanft.
Can o’ Beans weckte seine/ihre Freunde, und wenig später setzten sie holpernd, stolpernd und polternd ihre Reise durch die nächtlichen Wälder fort, die ihnen Heulen und Zähneklappern beibringen sollten.
Während der nächsten drei Stunden erklommen sie Felsen, kletterten über umgestürzte Bäume, schlugen sich mit Schatten herum und lauschten dem Schrei der Eule, der so unheimlich war, dass die Hälfte der amerikanischen Städtebewohner an ihrer Stelle zur Valiumflasche gegriffen hätte. Dann machten sie erneut Rast. Spoon, Can o’ Beans und Dirty Sock waren sichtlich am Ende. Painted Stick erklärte, unter diesen Umständen würden sie ihr Lager eben früher aufschlagen, gute drei Stunden vor Anbruch der Dämmerung, und hoffen, in der folgenden Nacht die verlorene Zeit wieder wettmachen zu können.
Sie suchten sich eine flache, moosgepolsterte Lichtung. Sie lag vollkommen abgeschieden, im schwärzesten Teil des Waldes; nur vereinzelt fielen ein paar Streifen Mondlicht durch die Tannenzweige wie Klopapierrollen, die aus einem Fenster im obersten Stock eines efeuberankten Verbindungshauses geworfen worden sind. Die aus dem Truthahn (der in diesem Augenblick viele Meilen weiter östlich im ungefilterten Mondschein parkte) Verstoßenen fanden übereinstimmend, dass es ein angenehmes Plätzchen war. Schnell versanken sie in etwas Ähnliches wie Schlaf, jeder an den Stamm eines anderen Baumes gelehnt.
«Gute Nacht, Miss Spoon. Gute Nacht, Mr. Sock.»
«Schlafen Sie gut», antwortete Spoon. «Ich werde Sie beide in mein Nachtgebet einschließen.»
«Hm», grunzte Dirty Sock, der immer noch sauer war wegen der Lektion über seine Ausdrucksweise.
Can o’ Beans wollte Spoon noch fragen, zu wem sie denn eigentlich betete, aber dann gähnte er nur und ließ es sein. Er bekam nicht einmal mehr mit, dass
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