Salomes siebter Schleier (German Edition)
seinen großen Wolkenschreibtisch gesetzt und mit lauter Stimme gedonnert hatte: «Ich glaube, ich werde Louisiana so machen, dass es aussieht wie ein Frankensteinstiefel.» Wie auch immer, jedenfalls hatten sich die Leute ziemlich an die imaginierte physische Realität dieser Staaten gewöhnt.
Da die Karte auf eine ebene Fläche gedruckt war, waren nur vier Farben nötig, um jeden einzelnen Staat von seinen Nachbarn abzuheben. Auf einer Kugel, einem Globus, genügten ebenfalls vier Farben. Wäre sie auf einen Torus – eine doughnut-ähnliche Form – gedruckt worden, hätte man
sieben
Farben gebraucht, um die Staaten voneinander zu unterscheiden. Es gibt aber natürlich noch andere Gründe, warum man nur selten eine Karte der Vereinigten Staaten auf seinem Doughnut findet.
«Ich frag mich, wo sie jetzt wohl gerade sind», sagte Verlin. Er verfolgte den Fortgang der Reise seiner Tochter und seines Schwiegersohns einigermaßen genau, nicht ohne die stille Hoffnung, dass sie sehr, sehr lange brauchen würden, um das schreckliche New York zu erreichen.
«Ich frag mich, wo
er
jetzt wohl gerade ist», sagte Patsy. Sie schüttelte ihr ramponiertes Kuckucksnest – diesen Haarschopf, dessen Milliarden wirbelsturmartige Locken ihr genetisches Muster irgendwie in ihre Chromosomen gemogelt hatten und so an ihre Tochter weitergegeben worden waren – in die Richtung von Reverend Buddy Winkler.
Auf dem Sessel, wo er eingenickt war, als er sich vor dem Fernsehgerät der Charles’ «Riskant!» ansah, zuckte Buddy unruhig im Traum. Es sah nicht nach einem Albtraum aus: Über die schmalen Lippen huschte gerade so etwas wie ein frommes Grinsen. Doch er zuckte und zappelte, und er schwitzte wie eine Kühlbox. Patsy beobachtete fasziniert den Glanz, der von ihm beziehungsweise seinen Pusteln ausging. Sie knipste die Lampe aus.
«He! Was machst du da?», protestierte Verlin. «Ich studier diese gottverdammte Karte!»
«Tut mir leid, Schätzchen. Ich wollt nur sehen, ob du sie im Licht von Buds Eiterbeulen noch erkennen kannst.»
In dem Augenblick, als sie die Lampe wieder anknipste, schrak Bud auf. Als er sich einigermaßen gesammelt hatte und merkte, dass die Hauptsendezeit begonnen hatte und die Gameshow zu Ende war, wandte er sich an Verlin und Patsy und lächelte feierlich. «Der Herr hat zu mir gesprochen», sagte er. Mühelos schaltete er auf sein Saxophon um. «
Der Herr
hat in diesem Wohnzimmer zu mir gesprochen!»
«Das is aber ziemlich unhöflich. Zu mir hat er keinen Piepser gesagt, und immerhin isses mein Haus!»
«Patsy!»
«Hast du den Herrn gehört, Verlin? Ich schwör, wenn ich gewusst hätte, dass der Herr hier bei uns aufkreuzen würde, hätt ich die verflixten Aschenbecher geleert.»
Verlin und Buddy, wie aus einem Mund: «Patsy!»
«Tut mir leid. Ich wollte nich respektlos sein. Es is nur ein bisschen … ungewöhnlich.» Sie sah zu Verlin hinüber, in der Hoffnung, dass er den Ball aufnehmen würde, aber er war ebenso verschlossen wie die Kellogg-Staaten, jene kleinen Präriestaaten auf seiner Karte, die alle so aussahen wie Cornflakes-Packungen. Patsy war neugierig. «Was hat der Herr denn zu dir gesagt, Bud?» Sie meinte es ehrlich. Echt.
«Der Tempel», antwortete Buddy vage. «Gott sprach vom Wiederaufbau des Tempels.» Es hatte den Anschein, als hätte der Prediger den Herrn nicht allzu deutlich verstanden.
«Welcher Tempel?»
Plötzlich stand Buddy auf. «Wie spät isses?»
«Gleich Viertel nach acht», sagte Verlin.
«Hmm. Tja, zu spät für heute.» Beinahe zärtlich strich Buddy über die Krater auf seinem Kinn. «Morgen früh muss ich mich als Erstes mal mit einem Juden darüber unterhalten», erklärte er.
I & I
Als Ellen Cherry den stämmigen Burschen mit dem spärlichen schwarzen Haar, diesen Mann namens Boomer heiratete, hatte Can o’ Beans schon befürchtet, er/sie würde zusammen mit einer Reihe von Kolleginnen und Kollegen ausgeleert und an die Stoßstange des Hochzeitswagens gebunden werden. Und wenn der Wagen die Straße hinabfuhr und Luftschlangen, aufgeblasene Kondome und Rasierschaumflocken hinter ihm her wehten, würden die Dosen scheppern und klirren und mit ihrem vulgären Radau auch dem Letzten in der Stadt klarmachen, dass die schüchternen, nervösen Unschuldslämmer im Wageninneren sich auf dem Weg vom Altar zum Bett befanden.
Aber dann stellte sich heraus, dass der Hochzeitswagen der Airstream-Truthahn war, und keine von Ellen Cherrys Freundinnen – die
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