Salomes siebter Schleier (German Edition)
während der grausamen Säuberung, die auf Jehus Machtergreifung folgte, in Getreidebehältern versteckten. Zu Hunderten wurden Priester und Priesterinnen der Göttin niedergemetzelt, ihre Heiligtümer dem Erdboden gleichgemacht. Das war 843 vor Christus. Das Jahr, in dem die Patriarchen die Macht an sich rissen.
Innerhalb weniger Monate jedoch hatte Jezabels Tochter Athaliah es sozusagen als Seiteneinsteigerin geschafft, den Thron des
südlichen
Israels, also Judäas, zu übernehmen. Painted Stick und Conch Shell wurden nach Jerusalem geschmuggelt, in den Großen Tempel, den Ersten Tempel, Salomons Tempel, wie er genannt wurde; jenen prächtigen hebräischen Mischmasch, wo Vorhänge aus phönizischem Purpur, Wiegenliedern gleich, das schrille Psalmodieren unruhigen Goldes dämpften.
Athaliah konnte sich sechs Jahre halten, bevor sie von einem patriarchalischen Attentäter umgebracht wurde. Unter Athaliahs Herrschaft lag Jerusalem wieder einmal im Schoß der Göttin. Im Tempel, den Hiram und seine hervorragenden phönizischen Handwerker für Salomon gebaut hatten, lebten Painted Stick und Conch Shell zwischen Barren von Gold und Silber, Zehntausenden Leuchtern mit Kerzen, die Nacht für Nacht angezündet wurden, vierzigtausend Harfen und zweihunderttausend Trompeten, zwischen zahllosen juwelengeschmückten Weihrauchfässern, Bechern und Phiolen, alabasternen Gefäßen mit Salben und Ölen, zwischen Löffeln, Becken, Lichtputzscheren und Zangen, alle aus feinstem Messing und für den bronzenen Altar bestimmt, auf dem die Opfer dargebracht wurden. Diese prächtige, von Salomon georderte Ausstattung hatte wenig mit der Göttin zu tun, abgesehen davon, dass sie überall mit dem Bild des Lotos, der Feige, des Granatapfels und «der wunderlichsten Blumen» – so der Historiker Josephus, tatsächlich alles Vagina-Symbole – geschmückt war. Dennoch fühlten sich der Stock und die Muschel in all dem Protz wohl, denn solange Astarte hier verehrt wurde, galten sie als ebenso kostbar wie ein Schatz.
Im Verlauf des Großreinemachens jedoch, das auf den Mord an Athaliah folgte, landeten sie in einem dunklen und abgeschiedenen Gelass, wo sie in Gesellschaft von diversen goldenen Kälbern, Spermieren, Fruchtbarkeitstrichtern, Tamburinen, Eselsmasken, Tanzrollen und trägen Vipern mit Einlegearbeit aus Elfenbein ein Jahrhundert lang Staub ansetzten. «Wir wurden nicht in Trance versetzt, wie später in der Höhle», erklärte Conch Shell, «sodass selbst für ein unbelebtes Objekt die Zeit langsam verstrich.» Sie erinnerte sich an Rosenholzgefäße in jenem Gelass, deren Bestimmung es war, die Tränen gebärender Frauen aufzufangen, und die so ungeduldig waren, dass sie sich bis zum Rand mit ihren eigenen staubigen Tränen füllten. Doch es stand geschrieben, dass die Talismane ihren hohen Rang wiedererlangen sollten. Über Jahrhunderte hinweg, von der Zeit seiner Vollendung ( 962 v.Chr.) bis zu seiner Zerstörung durch die Babylonier ( 586 v.Chr.), schwang der Große Tempel wie ein Pendel zwischen Jahwe und Astarte hin und her.
Salomon selbst paktierte mit der Göttin, eine Tatsache, die so ausführlich dokumentiert ist, dass nicht einmal biblische Revisionisten wagten, sie zu vertuschen, wenngleich sie seine «Toleranz heidnischen Sitten gegenüber» dem Einfluss seiner zahlreichen Frauen aus dem Ausland zuschrieben. Es heißt, dass Salomon die Geheimnisse der Pflanzen- und Tierwelt gekannt und Flüche habe ausstoßen können, mit denen er Dämonen austrieb und Kranke heilte. Josephus will erfahren haben, dass in Wirklichkeit die Frauen und Konkubinen des Königs diese Taten in seinem Namen vollbrachten. Vielleicht waren die heidnischen Frauen – immerhin hatte er mehr als siebenhundert – auch die eigentliche Quelle seiner allseits gerühmten Weisheit, obgleich das Buch, das von dieser Weisheit berichtet, erst sechshundert Jahre nach seinem Tod entstand und viele seiner Gedanken auf die frühen griechischen Philosophen zurückgehen.
Als 693 v.Chr. König Manasse gekrönt wurde, schwang das Pendel jedenfalls mit solcher Wucht zur Göttin zurück, dass Painted Stick und Conch Shell, vom Staub befreit und auf Hochglanz poliert, mit einer Regelmäßigkeit und Ehrerbietung zu Rate gezogen wurden, wie sie sie seit ihrer Blütezeit im Observatorium nicht mehr erlebt hatten. Painted Stick erfüllte nicht nur astronomische Pflichten auf dem Dach (aus vergoldetem phönizischem Zedernholz), sondern stand zusammen mit
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