Salomes siebter Schleier (German Edition)
Absicht …»
«Du hast mein raues altes Schweißerherz, und du hast obendrein deine Kunst. Ich weiß nicht, ob du groß genug für uns beide bist.»
«O Baby, aber wie kannst du …» Doch noch während sie protestierte, sah sie an ihm vorbei durch ein Fenster des Airstream und auf die Sonne, die über die leicht bestäubten Hügel kletterte, und dachte, wie gern sie sie als neonrote Fuchszunge malen würde, die an zerfallenden Engelsknochen leckt.
I & I
«Auf einem der Hügel, auf denen Jerusalem spross, gab es eine Tenne, einen Dreschboden, der aus einem großen flachen Felsen bestand, zu dem die Bauern nach der Ernte ihr Getreide brachten, um die Ähren zu schlagen und zu schütteln, bis das Korn herausfiel. Nun verbreitete sich die Kunde, dass dieser Dreschboden in Wirklichkeit den Berg Moriah krönte, also die Stelle, an der im Mythos von Abraham und Isaak der Vater bereit gewesen war, seinem Sohn die Kehle durchzuschneiden, um Jahwe seine Ergebenheit zu beweisen. So viel zum Thema Treueschwüre. Später wurde dieser Felsen, ob absichtlich oder durch Zufall, zu einem heiligen Ort für die Hebräer, einem Schnittpunkt von Kraftlinien. Die Überlieferung beträchtlich überstrapazierend, behaupteten manche gar, der Felsen stamme aus dem Garten Eden, und unter ihm sei Adam begraben. Kein Wunder, dass Salomon sich für diesen Berg entschied, als sich die Frage stellte, wo der Große Tempel stehen sollte.
Um den massiven Komplex, der Salomon vorschwebte – es sollte ein gewaltiger Hort des Glaubens werden –, tragen zu können, musste der Hügel gekappt, geebnet und terrassiert werden. Dies kostete Zeit und Geld, doch Salomon, oder vielmehr sein Harem, war zumindest weise genug, um eines einzusehen: Wenn man vorhat, das prächtigste Gotteshaus der Welt zu errichten, ein Heiligtum, das eine große, mächtige Nation unterschiedlichster Rassen und Religionen vereinigen und kontrollieren soll, stellt man es nicht einfach auf das erstbeste freie Feld wie ein neues Einkaufszentrum. Für ein solches Gebäude braucht man einen Platz mit einer gewissen Magie.»
(An diesem Punkt hätte Can o’ Beans, der Conch Shell und Painted Stick die ganze Zeit nach Hintergrundinformationen über den Ersten Tempel gelöchert hatte, ihren Bericht – und seine stille Wiederholung – am liebsten unterbrochen, um sich genauer nach dem Wesen dieser Magie zu erkundigen, denn er/sie vermutete, dass die Muschel und der Stock über die magischen Künste gut Bescheid wussten – immerhin stammten sie aus einem Zeitalter, in dem solche Dinge nicht lächerlich gemacht wurden –, doch wie viele schüchterne oder engstirnige Schriftsteller traute er/sie sich nicht, den Erzählfluss zu stören.)
«Nachdem die Spitze des Berges Moriah abgetragen und seine Hänge so umgestaltet waren, dass man Straßen und Treppen anlegen konnte, kam Salomon mit Hirams Hilfe zur Sache: Jetzt war der Zeitpunkt gekommen, seinen extravaganten Traum in die Tat umzusetzen. Salomon war so etwas wie der Produzent und Hiram der Regisseur. Sie befehligten eine tausendköpfige Crew, darunter kein einziges Gewerkschaftsmitglied. Das Vorprogramm bestritten einhundertfünfzigtausend kanaanitische Sklaven, die sich abrackerten, um der Peitsche zu entgehen, sowie dreißigtausend Israeliten, die in die Tempelbaukorps abkommandiert worden waren, ohne von dem Sold auch nur ihre Falafel bezahlen zu können. Dreitausend Vorarbeiter brüllten Befehle, und hinzu kam eine wahrscheinlich ebenso hohe Zahl von gelernten Steinmetzen, Metallarbeitern und hervorragend ausgebildeten Zimmermännern aus Hirams Phönizien. Die Phönizier kleideten sich in Purpur und sahnten in den firmeneigenen Basaren die besten Kichererbsen ab.
Trotz dieses Großaufgebots an Hilfsarbeitern und Laufburschen dauerte es sieben Jahre, bis der Bau vollendet war – und noch mal drei Jahre waren schon draufgegangen, um die Materialien heranzuschaffen. Typischer Fall von Regierungsprojekt, nehme ich an. Doch als er fertig war, bot der Tempel einen eindrucksvollen Anblick. Mit seinen übereinandergeschichteten Wänden und den hierarchisch angelegten, wie russische Holzpuppen ineinander verschachtelten Innenhöfen erstreckte er sich über Zehntausende von Quadratmetern. Laut Miss Shells Beschreibung bestanden die Außenwände, wie auch die einzelnen Gebäude, aus Stein, Israels einzigem natürlichem Rohstoff. Von innen wurde der Stein mit gutem altem Zedernholz aus Phönizien verkleidet, und dieses
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