Salomes siebter Schleier (German Edition)
Freundlichkeit, in seiner Anständigkeit, dass er nur auf dem Mist des Leibhaftigen persönlich gewachsen sein kann. Okay, und das is genau das, was die beiden Friedensapostel praktiziern, und genau aus dem Grund sind sie den wahrhaft Gläubigen, einschließlich Moslems und Juden, so verdächtig. Ich hab’s Boomer gesagt, und ich sag’s dir auch, verschwinde aus diesem Heidenpfuhl, kümmre dich um den heiligen Stand deiner Ehe, wie es sich gehört, denn ich kann für deine Sicherheit da nich länger garantiern.»
I & I
Frühe Religionen waren wie schlammige, mit Laub bedeckte Teiche. In ihren Tiefen tummelten sich die Seelenfische, dort fanden sie ihre Nahrung. Doch im Lauf der Zeit verwandelten sich die Religionen in Aquarien. Dann in regelrechte Zuchtbecken. Vom kleinen Fisch zum tiefgefrorenen Filet ist es nur ein Flossenschlag.
Reverend Buddy Winkler hatte recht in Bezug auf Spike Cohen und Roland Abu Hadee: Sie zogen keine tumben Kreise in einem religiösen Glaskasten. Tatsache war, dass Spike und Abu den Erfolg ihrer Verbindung direkt auf ihren mangelnden Sinn für formale Gläubigkeit zurückführten. Hätte einer von beiden seine Religion aktiv ausgeübt, wäre es ihnen unmöglich gewesen, Partner oder Freunde zu sein. Dogma und Tradition hätten alle natürlichen Freundschaftsinstinkte abstumpfen lassen.
Es war, als sei Spike und Abu ein heimlicher Blick hinter den Schleier gewährt worden, der ihnen offenbarte, dass organisierte Religion das größte Hindernis auf dem Weg zu Frieden und Eintracht bildete. Wenn das zutraf, muss es eine allmähliche Offenbarung gewesen sein, denn diese Erkenntnis entfaltete sich langsam und in vielen Etappen, wie ein ihnen kaum bewusster Nebeneffekt ihres gemeinsamen Einsatzes für die Menschlichkeit und ihres Widerstandes gegen alle Doktrinen.
Im besten Fall werden Spike und Abu, wenn der vierte Schleier fällt, besser als die meisten anderen darauf vorbereitet sein, dieser herben Wahrheit ins Auge zu sehen: Religion ist eine der Hauptursachen menschlichen Elends. Sie ist nicht Opium, sondern Zyanid für das Volk.
Natürlich werden die allgegenwärtigen Verteidiger der Religion sich beeilen, auf den
Trost
zu pochen, den sie Kranken, Geschlagenen und Enttäuschten spendet. Mag sein. Aber Gott vertrödelt seine Zeit nicht mit Trostspenden. Wer danach trachtet, das Gesicht des Göttlichen zu erblicken, muss aus dem Aquarium ausbrechen, der Fischzucht entfliehen, wilde Wasserfälle bezwingen, in tiefe Fjorde tauchen. Er muss das Labyrinth des Riffs, die Schatten der Wasserlilien erforschen. Wie beschränkt und welche Beleidigung, sich Gott als gütigen Vater vorzustellen, als einen fernen Manager der Zucht, der uns im «Trost» künstlicher Teiche gefangen hält, wo seine Vertreter keimfreie Flocken industriell hergestellten Futters auf unsere toten Gewässer streuen.
Die Sehnsucht nach dem Göttlichen ist tief im Homo sapiens verwurzelt. (Nach allem, was wir wissen, trifft das auch für Eichhörnchen, Löwenzahn und Diamantringe zu.) Wir nähern uns dem Göttlichen, indem wir unsere Seele öffnen und uns erleuchten lassen. Diese beiden Ziele zu erreichen könnte der Sinn unseres Lebens sein.
Gut und schön. Doch solcherlei Aktivitäten laufen den Bestrebungen von Kommerz und Politik zuwider. Politik ist die Wissenschaft von der Herrschaft, und Menschen, die nach Erweiterung ihres Bewusstseins und Erleuchtung streben, sind für ihre Unbeherrschbarkeit bekannt. Um mithin ihre ureigenen Interessen zu schützen, haben sich Politiker vor langer Zeit die Religion dienstbar gemacht. Könige bestachen Priester mit Land und Schmuck. Gemeinsam legten sie die schattigen Teiche trocken und ersetzten sie durch Zuchtbecken. Die Wände der Becken bestanden aus Ignoranz oder Aberglauben und wurden mittels Angst und Schrecken zusammengehalten. Man nannte diese Becken «Synagogen», «Kirchen» oder «Moscheen».
Kaum waren die Becken da, redete man nicht mehr viel von der
Seele
. Stattdessen sprach man jetzt vom
Geist
. Die Seele ist heiß und schwer. Der Geist ist kühl, abstrakt, distanziert. Die Seele steht in Verbindung mit der Erde und ihren Wassern, der Geist dagegen mit dem Himmel und seinen Gasen. Aus den Gasen entspringt das Feuer. Feuerkraft. Jemand hat mal gesagt, Krieg sei die logische Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Als die Religion politisiert worden war, konnte man absehen, dass ihre Ausübung früher oder später ebenfalls zum Krieg führen musste.
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