Salomes siebter Schleier (German Edition)
weitere Bombendrohungen im I & I. Beide gingen während des Dinners ein, sodass Ellen Cherry nicht direkt davon betroffen war. An der Publicity dagegen konnte auch sie nicht vorbei. Ob sie kam oder ging, stets musste sie sich an den Kameras der Neugierigen vorbeidrängeln. Wie eine fotoscheue Filmschauspielerin gewöhnte sie sich an, einen Schal und eine dunkle Brille zu tragen, und sah beim Gehen auf ihre Füße, als hätte die Stiftung zum Erhalt der Zehenstummeln ihr ein Forschungsstipendium verliehen. Sie hatte Angst, unter den Demonstranten Buddy zu begegnen. Oder ins Fernsehen zu kommen. Familienkrach war schlimmer als alles andere. Einige Familien schienen ihren eigenen Nahen Osten zu haben. Und was war die Situation im Nahen Osten letztlich anderes als ein außer Rand und Band geratener Familienkrach?
Isaac gegen Ishmael.
Ihre Eltern riefen sie bei der Arbeit an. «Ich hab zu tun», schwindelte sie. Die einzigen Gäste im berühmtesten Restaurant von New York waren zwei Tische voll Japaner, die grünes ägyptisches Bier tranken und beim Anblick des
baba ghanoug
in hysterisches Gekicher ausbrachen.
«Wie viele Kneipen gibt’s in New York? Zehntausend? Zwanzigtausend? Mehr? Deine Mami sagt ‹mehr›. Und du musst dir ausgerechnet die aussuchen –»
«Reg dich ab, Daddy, das Schlimmste ist schon vorbei. Es wird keine weiteren Explosionen geben.»
Tatsächlich verging die Woche ohne Gewalttätigkeiten, was beträchtlich schwindende Zuschauerzahlen zur Folge hatte – ein weiteres Beispiel für die begrenzte Aufnahmebereitschaft der Menschen in dieser Metropole. Doch eine Bombe platzte trotzdem. Sie platzte in Ellen Cherrys eigenem Apartment und hätte sie beinahe umgehauen, obgleich sie damit gerechnet hatte. Die «Bombe» war eine Einladung zu Boomer Petways Ausstellung in der Ultima-Sommervell-Galerie.
I & I
Damals, als sie in New York angekommen waren, hatten sie den Truthahn direkt an der Ecke Seventy-third und Broadway geparkt, wo im plüschigen Ansonia-Hotel ein Einzimmerapartment auf sie wartete. Sie wohnten zur Untermiete bei einem Bildhauer, der für drei Jahre nach Florenz gezogen war und seinerseits Untermieter des neuen Kurators für zeitgenössische Kunst im Kunstmuseum von Seattle war, ein Mann, der Ellen Cherrys Talent bewunderte. Dieser Kurator hatte ihnen obendrein ein Empfehlungsschreiben an die bekannte Kunsthändlerin Ultima Sommervell mitgegeben.
Kaum hatten sie sich eingerichtet, das Bett bezogen, die Badewanne geschrubbt und das Küchenregal mit
ramen
, Pizza-Mix, Pabst-Blue-Ribbon-Bier und sechs verschiedenen Sorten Kakerlakenkiller gefüllt, ging Ellen Cherry los und brachte ihre Dias zur Sommervell-Galerie. Ultima fiel nicht gerade von ihrer Josef-Hoffman-«Sitzmaschine», war aber immerhin interessiert und versprach, zum Ansonia zu kommen und sich die Bilder selbst anzusehen. Drei Tage später stand sie vor der Tür.
Boomer hatte mittlerweile herausbekommen, dass Schweißereien hauptsächlich in den äußeren Stadtbezirken angesiedelt waren. Da er auf einen Job in Manhattan hoffte, hing er erst mal zu Hause herum und las gerade einen Spionagethriller, als Ultima auftauchte. Sie war so atemlos, dass sie schon glaubten, sie sei zu Fuß heraufgekommen. Doch dann stellte sich heraus, dass sie unten den großen Truthahn entdeckt und dadurch einen ungeheuren Kulturschock erlitten hatte.
«Ach der, den hat Boomer da gemacht», sagte Ellen Cherry ahnungslos und deutete auf den kräftigen Kerl, der sich, mit T-Shirt, kurzen Sporthosen von der Highschool in Colonial Pines und einer roten Socke bekleidet, auf dem Sofa lümmelte.
«Wirklich? Wirklich, Darling? Oh,
magnifique
!»
Ultima Sommervell war groß, dunkel, hektisch und in den steil ansteigenden Dreißigern. Ihr Gesicht war erdbeerförmig und olivenfarbig, weich und herb zugleich. Sie war schlicht, aber elegant gekleidet und frisiert, die Sorte Frau, die ein Bauhaus-Architekt hätte entwerfen können, mit Ausnahme des Busens, dessen freischwebende Fülle den strengen Formen ihres üppigen Körpers völlig zuwiderlief, das Gleichgewicht störte und einen solch auffallenden Kontrast bildete, dass sie, rein ästhetisch gesprochen, von einer beiderseitigen Brustamputation nur hätte profitieren können. Es war, als habe Gropius sie geschaffen und dann Gaudí erlaubt, die Titten draufzusetzen. In einem näselnden englischen Akzent, der Ellen Cherry an ein Schulmädchen erinnerte, das versucht, Alfred Hitchcock nachzuäffen,
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